Emilia Rüttinger arbeitet in der HR-Abteilung von MEAG Asset Management und kümmert sich dort um Diversity- and-Inclusion-Themen (D&I). Sie kann sich besonders gut in verschiedene Rollen – die männliche und die weibliche – einfühlen und hat dazu ihre ganz eigene Geschichte. Damit, dass sie uns daran teilhaben lässt, will sie Menschen, die sich als „anders“ ansehen, ermuntern, ihre authentische Persönlichkeit zu entwickeln. „Ich würde sagen, dass ich in den letzten Jahren rund 70 Prozent meiner Energie dafür aufwenden musste, um ruinös gegen mich und meine Identität zu kämpfen, und die Rolle aufrecht zu erhalten“, sagt Emilia im Interview mit Anke Dembowski. 70 Prozent mehr freie Energie, das ist doch ein Wort! In einem weiteren Interview sprechen wir Emilia darüber, was diverse Teams und Inklusion Unternehmen und Mitarbeitenden bringt.

Emilia, bevor Du in die HR-Abteilung von MEAG AM gegangen bist, hast Du viele Jahre im Portfolio-Management gearbeitet, warst zwischenzeitlich auch Leiterin Portfolio Management bei einem anderen Asset Manager. In der Praxis ist Portfolio Management ja eher ein Male-Space, während HR eher ein Pink Space ist. Wie ist Deine Erfahrung damit, kannst Du das bestätigen? Inwiefern ist im PM-Bereich die Tonalität männlicher?
In den Jahren meiner Tätigkeit als Portfoliomanagerin waren da Männer noch eindeutig in der Mehrzahl und damit auch Wahrnehmungen, Verhaltensweisen und Kommunikation männlich geprägt. Diese Monokultur ist natürlich gegenüber diversen Teams nicht so ganz effizient, da es im Portfoliomanagement darum geht, komplexe politische, wirtschaftliche Zusammenhänge und das Marktverhalten zeitnah zu bewerten. Gender-diverse Teams mit unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Kommunikationsfähigkeiten erkennen mehr, challengen Meinungen öfter und aus unterschiedlichen Perspektiven und entscheiden damit effizienter. Im Übrigen stehen Frauen im Track Record ihren männlichen Kollegen in keiner Weise nach und können genauso erfolgreich sein wie ihre männlichen Kollegen. Insofern sollten wir auch weiterhin Frauen dafür begeistern, die hochinteressanten Berufswege im Asset Management einzuschlagen.

Dass Du von dem einen Bereich in den anderen gewechselt bist, kommt nicht von ungefähr, sondern Du selbst hast eine ganz schöne Transition durchgemacht…
Ja in der Tat. Dabei haben mich zwei Dinge sehr stark geprägt. Die Transition war in meinem Alter eher schwierig und das Ende eines jahrzehntelangen Leidens durch die Dysphorie und das ewige Verstecken der eigenen Identität. Ohne die Hilfe sehr vieler Menschen, die mich in den schwierigen Zeiten unterstützt haben, hätte ich das sicherlich nicht geschafft. Dies waren meine Frau, meine Freunde, Arbeitskollegen, Ärzte, Psychologen und Menschen mit gleichem Schicksal, die ich über die Selbsthilfegruppen kennengelernt habe. Ihre selbstlose Unterstützung hat mich extrem beeindruckt und den Wunsch bei mir erzeugt, etwas davon zurückgeben zu wollen. Zum anderen hatte ich es dann in der Transition – insbesondere anfangs, als ich optisch nicht mehr dem Norm-Bild entsprach – Erfahrungen gesammelt, wie es sich anfühlt nicht mehr inkludiert zu sein. Das war recht hart, hat mir aber noch einmal verdeutlicht, wie wichtig ein Umfeld von Inklusion und Zugehörigkeit für Menschen ist und wie entscheidend für Lebensqualität und Leistungsfähigkeit. Umso glücklicher war ich natürlich, als sich für mich die einzigartige Chance ergab, genau in diesem Bereich arbeiten zu dürfen und Teil des Wandels bei der MEAG zu sein. Da konnte ich einfach nicht nein sagen.

Du wurdest als Junge erzogen und hast viele Jahre eine Männerrolle eingenommen. Was hast Du „männliches“ gemacht?
Ich denke, dass ich so ziemlich alles getan habe, um nicht als Frau aufzufliegen. Bis vor wenigen Jahren war es ja eher schwierig, sich als Transperson zu outen ohne starke soziale oder berufliche negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Auch gab es in meiner Jugend kaum Chancen mit jemandem darüber zu reden, zumal es kein Internet mit Aufklärung dazu oder Hilfegruppen gab, und es bestanden starke gesellschaftliche Vorbehalte. Selbst die Psychotherapie war damals eher auf ein Bekämpfen der Symptome ausgerichtet statt Hilfestellung zur Transition zu geben. Insofern habe ich beschlossen, die männliche Rolle bewusst zu spielen und durchzuhalten. Im Prinzip ging es darum, als „Alpha Männchen“ wahrgenommen zu werden. Dazu gehörten zur damaligen Zeit der Weg zum Militär, ein männlich geprägtes Jobumfeld und diverse Extrem-Sportarten. Auch war meine Kommunikation eher „macho-mäßig“. Aus heutiger Sicht manchmal schwer nachzuvollziehen und wie ein Zerrbild, aber eben eine Tat der Verzweiflung.

Wieso hast Du Dich dann auf einmal geoutet und bist in die Transition gegangen?
Die Entscheidung habe nicht ich gefällt, sondern mein Körper und meine Psyche. Es war eine Illusion daran zu glauben, dass ich meine richtige Identität dauerhaft unterdrücken kann und die Kraft, die ich dafür benötigte, wurde über die Jahre immer stärker. Ich würde sagen, dass ich in den letzten Jahren rund 70 Prozent meiner Energie dafür aufwenden musste, um ruinös gegen mich und meine Identität zu kämpfen, und die Rolle aufrecht zu erhalten. So etwas kann nicht gelingen, und wenn es nicht die Vernunft schafft, dann streiken irgendwann der Körper und die Seele. Letztlich war es der Gedanke an meine Familie, der mich dazu bewogen hat, leben zu wollen und den Weg der Transition zu gehen. Dies tat ich dann auch, aber völlig unvorbereitet. Bis zum öffentlichen Outing dauerte es dann aber noch ca. ½ Jahr. Vorher lagen noch etliche Termine mit Psychologen, um die Diagnose für die Hormonersatztherapie zu bekommen, und Zeit, um mit Ängsten hinsichtlich des Outings klarzukommen.

Wie hat Dein Umfeld darauf reagiert: Deine Familie, Deine Arbeitskollegen, Deine Freunde?
Ich glaube für die direkten Angehörigen ist so etwas immer deutlich einschneidender als für Freunde und Kolleg*innen, da sie ja eine viel persönlichere Beziehung zu dem Menschen haben. Und zu erfahren, dass ein Partner einem anderen Geschlecht angehört, verändert diese Beziehung natürlich grundlegend. Natürlich war es erst einmal ein Schock für sie, zu erfahren, dass ich kein Mann bin, aber meine Familie hat zu allen Zeiten fest zu mir gestanden, und das war mein absoluter Anker. Ohne sie hätte ich das nicht geschafft. Das geht lange nicht allen Betroffenen so, daher sehe ich mich als Glückskind. Meine Freunde und mein Berufsumfeld haben sehr positiv reagiert und ich habe gelernt, dass viele meiner Ängste unbegründet waren. Auch dies war ein Glücksfall, denn es ergeht nicht jedem so. Mein Arbeitgeber hat mich sehr stark unterstützt, was gerade in den Zeiten der physischen/psychischen Transition, die in meinem Fall von vielen Operationen und psychologischer Unterstützung begleitet war, eine riesige Hilfe darstellte. Auch habe ich durch meinen Arbeitgeber Unterstützung im Rahmen von Coachings bekommen, was mir extrem geholfen hat, meine berufliche Tätigkeit in meiner richtigen Identität erfolgreich zu meistern und meine authentische Persönlichkeit zu entwickeln. In vielen Bereichen musste ich wirklich bei null anfangen, da sich das Leben völlig neu anfühlte, die Wahrnehmung und Emotionen völlig anders und intensiver waren, die Resilienz erst einmal am Boden lag und ich viele Dinge komplett neu lernen musste. Die Unterstützung durch die Firma und die vielen Kolleg*innen war hier absolut essenziell.

Allgemein nimmt man wahr, dass Männer und Frauen unterschiedlich ticken. Du hast nun den Vorteil, dass Du Einblick in beide Welten hast. Kannst Du ein oder zwei Beispiele nennen, wo Dir die unterschiedlichen Verhaltensweisen von Frauen und Männern besonders aufgefallen sind?
Neben der körperlichen Veränderung war die psychische wohl die stärkste, wobei hier die Hormone einen extremen Einfluss auf die Seelenwelt haben. Der Wegfall von Testosteron und das Hinzukommen von Östrogen haben bei mir massive Veränderungen bewirkt. Sehr stark aufgefallen ist mir, dass ich mich – im Gegensatz zur Zeit vor der Transition – viel mehr hinterfragt habe. „Mache ich die Dinge richtig? Bin ich gut genug vorbereitet für den Job? Können andere es nicht besser? Was ist, wenn es nicht gut läuft und ich keine Antwort habe…?“

Solche Fragen hast Du Dir als Mann nicht gestellt?
Nein, als Testosteron-beeinflusster Mensch bin ich sehr selbstbewusst aufgetreten. Aufgefallen ist das etwa bei Vorträgen, auf die ich mich früher weniger akribisch vorbereitet habe, nach dem Motto „läuft schon“ oder auch im Leistungssport, wo ich eher schnell entschieden habe, anstatt Dinge lange abzuwägen oder zum Overthinking zu neigen. Zum anderen ist es die Wahrnehmung, die deutlich anders ist. Ich nehme Emotionen und Stimmungen viel stärker wahr, was mich am Anfang total überfordert hat. Je mehr ich jedoch gelernt habe damit umzugehen, desto mehr habe ich es als absolutes Asset verstanden, denn die weibliche Wahrnehmung, die bei mir vorher unterdrückt war, eröffnet massive Chancen, Dinge zu erkennen, die einem sonst verschlossen bleiben. Sie sind maßgeblicher Anteil der sozialen und emotionalen Intelligenz. Ich denke, dass beide Seiten – die männliche wie auch die weibliche – ihre Vorzüge haben. Da es sich aber um unterschiedliche Skills handelt, entfalten sie ihre eigentliche Stärke erst in Kombination – also in gemischten Teams, in denen die spezifische Expertise von beiden Geschlechtern zum Tragen kommt. Dazu ist es nötig, dass Frauen auch die Möglichkeit haben, sich in ihrer authentischen Identität zu zeigen, sich also nicht verstellen oder anpassen müssen, sondern eben diese ureigensten gender-spezifischen Stärken in der Zusammenarbeit mit Männern ausspielen können. Letztlich ist es eine Win-Win Lösung für beide Seiten.

Resilienz ist ein Wort, das man zu Pandemie-Zeiten öfter gehört hat. Männer und Frauen sind unterschiedlich resilient, vermutlich auch in unterschiedlichen Bereichen. Wie können Frauen resilienter werden, und sollten sie das überhaupt?
Versteht man Resilienz als „die Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen wie Krisen oder Katastrophen ohne dauerhafte Beeinträchtigung zu überstehen“, so ist es für beide Geschlechter wichtig, die persönlich notwendigen Ressourcen zu haben, um gesund zu bleiben. Um im Berufsalltag resilienter zu werden, ist es hilfreich, die eigenen Stärken und die eigene Identität zu entwickeln, dabei optimistisch selbstwirksam zu werden und sich zu vernetzen. Für Frauen bieten sich da viele Chancen – gerade auch in Hinblick darauf, die gender-spezifischen Herausforderungen zu meistern, angefangen von den Frauennetzwerken in den Firmen, Netzwerken wie den Fondsfrauen, Facebook-Gruppen, Mentorenprogramme oder ein individuelles Coaching. Zudem sind viele Angebote aus dem Bereich Wellbeing/Health für physische und psychische Gesundheit generell sehr unterstützend, etwa Coachings zu Stressbewältigung, Vermeidung von Burnout oder bei Konflikten am Arbeitsplatz. Krisen und Katastrophen sind jedoch etwas, auf das man sich oft nicht gut vorbereiten kann. In solchen Fällen ist eine professionelle fallbezogene Unterstützung immer anzuraten, etwa durch erfahrene Coaches und Psychotherapeuten im Rahmen eines Lebenslagen-Coachings.

Nochmal zu Dir und Deiner Situation: Schließen Männer Dich jetzt aus ihren Zirkeln aus?
Über diese Frage muss ich ein wenig schmunzeln, aber ja. Es gibt in der Tat Themen, die Männer eher unter sich besprechen und bei Frauen ist es nicht anders. Bei mir war da aber eher ein schleichender Übergang, da sich mein Körper und meine Personality ja über eine längere Zeit verändert haben und je nachdem, wie man gelesen wird, wird man auch eben dem einen oder anderen Geschlecht zugeordnet. Dass ich dort in gewissen Bereichen nicht mehr dabei war, war für mich aber eine positive Erfahrung, da es die Fortschritte meiner Transition zeigte und mich glücklich machte, als Frau akzeptiert und gelesen zu werden. Und andererseits haben sich ja auch sehr viele Türen geöffnet, vor denen ich vorher ausgeschlossen war und wo ich mich sehr zu Hause fühle.

Danke Dir, Emilia, für dieses offene Gespräch!

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Anke Dembowski

Anke Dembowski ist Finanzjournalistin und Autorin verschiedener Investmentfonds- und anderer Finanzbücher. Sie ist außerdem Mit-Gründerin des Netzwerks „Fondsfrauen".

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