„Menschen, die ihre Identität nicht verstecken müssen, sich angenommen fühlen und einen Sinn in ihrem Schaffen sehen, sind gesünder, leistungsfähiger und kreativer“, sagt Emilia Rüttinger. Sie arbeitet in der HR-Abteilung des Asset Managers MEAG und kümmert sich dort um Diversity, Equity und Inclusion (DEI). Wir sprechen mit ihr darüber, welche Vorteile Unternehmen die Verfolgung von Diversity-Zielen bringt, und welche Gedanken man sich dazu bei MEAG macht. In einem früheren Interview erzählte Emilia, wie sie 70 Prozent ihrer Energie befreit hat.

Emilia, Du arbeitest in der HR-Abteilung der MEAG und kümmerst Dich dort um (DEI-) Diversity-Equity and-Inclusion-Themen. Was genau machst Du dort?
Ich beschäftige mich mit den unterschiedlichen Dimensionen von Diversität der Menschen in der MEAG. Hierzu zählen Geschlecht, Alter, ethnische Herkunft, Kultur oder Sprache, aber auch die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen und denen der LGBTQIA+-Community. Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein ebenso wichtiges Thema, das daher auch Bestandteil meiner Aufgabe ist.

Worum geht es der MEAG dabei?
Es geht beim Begriff Equity darum, Menschen den Zugang zu Ressourcen zu gewähren, wie beispielsweise Barrierefreiheit für Menschen mit eingeschränkter körperlicher Bewegungsfreiheit oder Sprachkurse für ausländische Mitbürger, und ihnen damit gleiche Chancen in der Berufswelt zu ermöglichen. Die Bedürfnisse können sehr unterschiedlich sein, entsprechend individuell sehen die Lösungen aus. Inklusion bedeutet, ein Umfeld zu schaffen, so dass jede Person ihre authentische Identität zeigen und ihre Stärken entfalten kann. Gleichzeitig soll sich jede Person akzeptiert empfinden. Das alles entwickle ich zusammen mit meinen Kolleginnen und Kollegen in HR. Darüber hinaus kümmere ich mich um Wellbeing und Health, wichtige Bestandteile unserer DEI-Strategie.

Wir Fondsfrauen treten für diverse Teams ein und werden oft gefragt, was das den Unternehmen bringt. Aus Deiner HR-Sicht: Welchen Vorteil siehst Du in diversen Teams? Was bringt das den Unternehmen und den Menschen, die dort arbeiten?
Diverse Teams sind nachweislich erfolgreicher, da sie verschiedene Wahrnehmungs- und Denkweisen vereinen. Damit können sie leichter Themen aus unterschiedlichen Perspektiven bewerten und so bessere Entscheidungen fällen. Darüber hinaus lernen die Mitglieder diverser Teams durch unterschiedliche Sichtweisen und Skills voneinander, und eine lernende Organisation entwickelt sich erfahrungsgemäß schneller und evolutionärer. Davon profitieren nicht nur einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern auch die gesamte Organisation. Dies ist gerade in einer komplexer werdenden Welt ein entscheidender Erfolgsfaktor. Zudem ziehen diverse Teams und Organisationen auch auf breiterer Ebene Talente an, was für alle Seiten vorteilhaft ist.

Bleiben wir mal bei Gender-Diversität: Inwiefern wird in diversen Teams anders kommuniziert als in rein männlichen oder rein weiblichen Teams?
In diversen Teams gibt es mehr Themenvielfalt und unterschiedlichere Betrachtungsweisen, welche dann die Kommunikation beeinflussen. Ich denke aber auch, dass man hier nicht gender-spezifisch pauschalisieren kann. Es gibt durchaus Männer mit Verhaltensweisen und Fähigkeiten, die man klassischerweise eher Frauen zuordnen würde und vice versa. Die Welt ist eben nicht binär, und das macht sie gerade so interessant. Und über die Gender-Frage hinaus würde ich auch immer dazu raten, dass Teams in mehreren Dimensionen divers sein sollten, um ein Maximum aus den unterschiedlichen Skills herauszuholen.

Diversity und Inklusion werden oft in einem Atemzug genannt. Inklusion ist nicht immer einfach… wie kann sie Deiner Meinung nach gelingen?
Inklusion beschreibt das Gefühl der Zugehörigkeit und sich wohlzufühlen, sein authentisches Selbst zu zeigen. Dies ist ein starker Motor für Entfaltung, von der alle Seiten profitieren. Menschen, die sich akzeptiert fühlen und einen Sinn in ihrem Schaffen sehen, sind gesünder, leistungsfähiger und kreativer. Dies gelingt umso besser, je stärker das Umfeld Einzelne inkludiert.

Wie lässt sich denn Inklusion in einem Unternehmen fördern?
Um Inklusion zu erreichen, bedarf es einer Bewusstseinsschärfung des Umfelds. Dies beinhaltet etwa, sich unbewussten Vorurteilen (sogenannten „Unconscious Bias“) bewusst zu werden. Basierend darauf lassen sich Handlungsstrategien für bessere Entscheidungen entwickeln, wozu „Awareness Trainings“ sehr hilfreich sind. Gleichzeitig ist es essenziell, den Mehrwert diverser Teams zu erkennen, um dies zur Grundlage des eigenen intrinsischen Handelns zu machen. Wenn dies verstanden ist, wird ein inklusives Umfeld meistens auch aktiv gefördert. Letztlich gehören aber auch alle Maßnahmen, die unter „Equity“ fallen, dazu.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang „Equity“?
Da Frauen oft anderen oder zusätzlichen Herausforderungen gegenüberstehen als ihre männlichen Kollegen, ist eine spezifische Unterstützung zu empfehlen, etwa flexible Arbeitszeitmodelle, um der Zeit der Schwangerschaft und Kinderbetreuung besser gerecht zu werden, Lösungen für einen möglichst reibungslosen Wiedereintritt in den Job und idealerweise gleichberechtigte Karrierechancen.

Welches Potenzial lässt sich entfalten, wenn Inklusion gelingt?
Ein sehr großes! Dies geht weit über das Potenzial der Gender-Inklusion hinaus und umfasst alle Diversity-Dimensionen. Inklusion kann das ganze Potenzial einzelner Personen entfalten, macht Teams effizienter, führt zu einer schneller lernenden Organisation, die damit auch wettbewerbsfähiger wird. Zudem attrahieren inklusive Unternehmen leichter Talente, die die Organisation erfolgreich weiter mitentwickeln.

Was tut Ihr bei MEAG konkret, um Diversity und Inklusion zu fördern?
Wir sind davon überzeugt, dass bei DEI ein holistischer Ansatz, der die Bedürfnisse aller berücksichtigt, am besten funktioniert. Es ist also wichtig, alle in der Organisation für die Chancen aller zu begeistern. Erst dann entfaltet sie ihre ganze Kraft. Wir setzen den Fokus in der MEAG auf Awareness und Information, um das Verständnis für das Potenzial von DEI zu schaffen. Darauf aufbauend entwickeln wir Lösungen für konkrete Bedürfnisse unserer Beschäftigten. Erfreulich hierbei ist das hohe Engagement unserer Netzwerke von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die wir aus HR heraus unterstützen. Gemeinsam haben wir hier beispielsweise Welt-Awareness-Tage genutzt, um relevante Themen firmenweit zu adressieren, Allies zu gewinnen und Dialoge zu initiieren. Unser Frauennetzwerk ist sehr aktiv und treibt mehrere tolle Projekte voran, die sich etwa mit Netzwerken, Visibility, Know-How-Transfer und Innovation oder Mentoring beschäftigen. Zudem organisiert das Netzwerk fortlaufend spannende Podiumsdiskussionen im Haus und schafft damit Räume für Kommunikation und Vernetzung. Eine großartige Initiative war auch die Errichtung einer permanenten Peer-Beratung in Bezug auf LGBTQIA+ Themen, die vom Pride Netzwerk geschaffen wurde. Die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen spielen für uns eine ebenso wichtige Rolle. Hier kooperieren wir mit myAbility, einem Social Enterprise, das sich für eine chancengerechte und barrierefreie Gesellschaft einsetzt. Wichtig ist uns dabei auch, dass wir kontinuierliche Lernmöglichkeiten anbieten. Auch die Weiterentwicklung unseres Talent-Identifikations- und Development-Potenzials steht weiterhin groß auf unserer Agenda.

In der Praxis sieht man allerdings noch einige Fälle, wo Inklusion nicht gelingt, noch nicht einmal im Bereich Gender-Diversity, geschweige denn in den anderen. Glaubst Du, dass Männer Frauen absichtlich ausschließen, oder machen sie einfach nur ihr Ding?
Meiner Erfahrung nach geschieht das eher unbewusst, zumindest wenn es um männer- oder frauenspezifische Themen und Interessen geht, und das gilt für beide Seiten. Oder auch auf Basis noch unbewusster Annahmen, weshalb sich das eine oder andere Geschlecht nicht in eine Diskussion einbezogen fühlt. Hier können De-Biasing-Trainings und Aufklärung über die Stärken des jeweils anderen Geschlechts immens helfen. Kritisch wird es da, wenn das jeweils andere Geschlecht aufgrund von Diskriminierung oder Vorurteilen aus Diskussionen ausgeschlossen wird. Daher ist es wichtig, Benachteiligungen in jedweder Form im Unternehmen frühzeitig zu erkennen, klare Regeln zu haben, sowie Methoden zur Konfliktlösung vorzuhalten.

Was möchtest Du Frauen mit auf den Weg geben, damit sie besser ihren Job machen können und vielleicht insgesamt zufriedener mit sich und ihrem Umfeld sind?
Im Sinne von „be yourself and free yourself“ die eigene Identität leben und sich an ihr zu erfreuen. Sich nicht zu verbiegen, um Wunschvorstellungen anderer zu gefallen. Authentizität ist – glaube ich – die stärkste Eigenschaft, um erfolgreich und glücklich zu sein. Und sich darüber bewusst werden, welche besonderen Stärken man als Frau hat, was einen selbst ausmacht, seine eigene „Marke“ oder USPs zu entwickeln. Als Tipp kann ich mitgeben, Netzwerke und alle Angebote nutzen, die eigene Personality und Visibilität zu entwickeln. Dies können Mentorings sein, Coachings, Erfahrungsaustausch mit anderen Frauen über interne und externe Netzwerke, aber auch den Mut zu finden, beim Ausprobieren nicht immer perfekt sein zu müssen – da tun sich Männer manchmal leichter.

Als Frau in einer immer noch männerdominierten Branche muss man lernen, wie man sich durchsetzt. Wie sollten sich Frauen Deiner Meinung nach durchsetzen, beispielsweise in Teamsitzungen?
Meetings werden in männerdominierten Domänen oft durch männliche Kommunikation dominiert. Mir ist das besonders aufgefallen, als sich die Laustärke, Tonhöhe und Klangfarbe meiner Stimme nach der Stimmen-OP verändert hatte. Da bekam ich das Gefühl, weniger gehört zu werden. Auch ist die weibliche Sprache eine andere, was Betonung, Satzbau oder Pausen angeht. Männer haben tendenziell eine monotonere Stimme, während Frauen die Intonation viel mehr nutzen. Macht eine Frau eine Pause zwischen zwei Sätzen, wird dies manchmal von männlichen Kollegen zum Reinspringen genutzt, um das Gespräch zu übernehmen. Diese Dinge sollten nach einem Meeting im Dialog persönlich angesprochen werden. Oft muss aber auch an der Diskussionskultur im Team gearbeitet werden. Hier sind die Führungskräfte gefragt. Umgekehrt bin ich überzeugt, dass Frauen spezifische Potenziale haben, sich in Diskussionen durchzusetzen, ohne sich dabei verstellen zu müssen oder männliche Verhaltensweisen anzunehmen. Körpersprache ist ein ebenso wichtiges Mittel, welches oft unterschätzt wird. Auch hier gibt es Trainingsmöglichkeiten, die im Übrigen auch gerne von Männern in Anspruch genommen werden.

Vielen Dank für das interessante Gespräch, Emilia, und die vielen guten Anregungen!

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Anke Dembowski

Anke Dembowski ist Finanzjournalistin und Autorin verschiedener Investmentfonds- und anderer Finanzbücher. Sie ist außerdem Mit-Gründerin des Netzwerks „Fondsfrauen".

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