Wir begrüßen Adriana Richter sehr herzlich als neues Business-Mitglied der Fondsfrauen. Sie ist sogenannter „Storycoach”. Was das genau ist, und wie Storytelling jedem von uns im Leben weiterhelfen kann, das erzählt sie uns in diesem Interview. Daneben ist Adriana Richter auch Speakerin und Autorin. Sie hat 2022 den Finanzbildungsaward und den Global Speak Off Award 2023 in USA gewonnen.

Adriana, Du bist Storytellerin. Das klingt ungewöhnlich… was tust Du als Storytellerin?
Als Storycoach bringe ich Menschen bei, eine Story so zu erzählen, dass man sein Ziel besser erreicht. Also beispielsweise den interessanten Job zu bekommen oder ein bestimmtes Produkt zu verkaufen. Es gibt ein Zitat von der amerikanischen Journalistin Soledad O’Brien: „If you know how to tell a story well, you can move people to do something.“ Und genau darum geht es doch in unserem Alltag, oder? Darum, Menschen zu etwas zu bewegen, das man gerne von ihnen hätte.

Wo setzt Du Storytelling ein, und warum ist es gut, immer eine gute Geschichte zu einem Thema zu haben?
Für mich sind Geschichten die menschlichste Art, miteinander zu kommunizieren. Seit der Steinzeit sind wir darauf geeicht. Deshalb liebt unser Gehirn Geschichten und merkt sie sich 22-mal besser als Fakten. Egal was Du also transportieren möchtest, verwende dafür Geschichten, das funktioniert einfach besser! Am besten hat man ein kleines Potpourri an Geschichten im Köcher – jeweils passend zur Situation.

Kannst Du ein Beispiel nennen, wie Du Storytelling einsetzt?
Zum Beispiel bei einer Keynote. Ich verwende viel Energie auf die Suche und Aufbereitung meine Eingangs-Story, die sich dann wie ein roter Faden durch meine Präsentation zieht. Sie verdeutlicht meinen Zuhörern ganz intuitiv, warum das Thema, das ich vorstelle, für sie relevant ist. In den ersten Minuten schaffe ich die Grundlage dafür, dass mir mein Publikum den gesamten restlichen Vortrag folgt.

Kannst Du ein Beispiel für eine gute Geschichte geben, die Du mal verwendet hast?
Für meine Keynote beim Female Finance-Kongress habe ich lange nach einer Eingangs-Geschichte gesucht. Am Ende habe ich die Finanzgeschichte meiner Mutter ausgewählt. Das ist mir nämlich sehr wichtig: Die Geschichten müssen echt sein. Der Mensch hat einen 6. Sinn dafür, wenn eine Geschichte erfunden ist, und das fällt einem irgendwann auf die Füße.

Du machst mich neugierig… Wie ist denn die Geschichte Deiner Mutter?
Meine Mutter ist in Kolumbien geboren, als erstes von fünf Geschwistern. Mit 17 ist sie als Au-pair nach Deutschland gekommen, und der Nachbarsjunge hat sich gleich in sie verliebt. Die beiden haben geheiratet und sind nach München gezogen und hatten zwei Kinder. Meine Mutter hat dann eine Ausbildung als Dolmetscherin gemacht und saß oft bis spät nachts an der Schreibmaschine. Sie hat immer gut gewirtschaftet und hat sich in den nuller Jahren die 4-Zimmer-Wohnung in München Schwabing gekauft, in der ich aufgewachsen bin und in der sie heute noch lebt.

Jetzt ist sie eine sehr rüstige Rentnerin, spielt Tennis und tanzt Flamenco. Im Tennisclub reden die Leute darüber, wie sie sich als Dolmetscherin dieses Leben leisten kann. Manche munkeln sogar: „Die handelt bestimmt mit Kokain!“ – sie kommt ja aus Kolumbien… In Wirklichkeit hat sie einfach ihr Leben lang ihre Finanzen in die eigenen Hände genommen. Und diese Message vermittle ich mit dieser Geschichte dem Publikum: Kein Wunder, keine Drogen sondern finanzielles Selbstbewusstsein ermöglicht es, so frei zu leben, wie man es will.

Wenn man sich so gut vorbereitet, wirkt das dann nicht irgendwie abgespult?
Für mich ist es ein Zeichen von Professionalität, gut vorbereitet zu sein. Die Kunst ist es, trotzdem mitreißend und inspirierend vorzutragen. Das bewundere ich auch an Kabarettisten immer so: Sie touren mit einem Programm durch die ganze Republik und jeder Auftritt wirkt spontan.

Was ist noch wichtig an einer Geschichte, außer dass sie authentisch sein sollte?
Wichtig ist, persönlich zu werden. Ich muss eine Geschichte von einer Person erzählen, die ich auch benenne. Das kann ich selbst sein, aber auch eine Person, die ich kenne. Eher nicht „eine Migrantin“, sondern besser „die 8-jährige Esra aus Äthiopien“. Außerdem brauchen wir eine Heldin oder einen Helden. „Give them a hero!“ Da ist jemand, der eine Herausforderung hatte, die er schließlich überwunden hat. Daraus ziehen zu Zuhörer ihre Erkenntnisse. Menschen interessieren sich mehr für Menschen – nicht für Unternehmen. Deshalb hat Tim Cook doppelt so viele Follower wie Apple.

Wie bist Du auf die Idee gekommen, Dich als Storytelling-Coach selbständig zu machen?
Eigentlich wollte ich nicht Storytellerin werden, sondern habe parallel zu meiner Finanzberatung Image-Videos gemacht, um Leidenschaft in die trockene Kommunikation der Finanzbranche zu bringen. Dabei habe ich gemerkt, dass noch mehr Interesse an Storytelling-Knowhow an sich besteht.

Aber Image-Videos, für die ich auch die Drehbücher schreibe, waren eine gute Schule. Das hat mir geholfen, Aussagen auf den Punkt zu bringen. Ich musste planen, wie ich das Interview führe, damit ich es so zusammenschneiden kann, dass ein 1:43 minütiger Film rauskommt, der die Message rüberbringt. Von der Kommunikation her war das also eine Elevator-Pitch Situation.

Passt Storytelling besonders gut zu Finanzdienstleistung? Oder ist es in jeder Berufssparte angebracht?
Grundsätzlich ist Storytelling für jede Sparte richtig, und auch für jede Art von Kommunikation. Wenn wir als Privatmenschen kommunizieren, verwenden wir ständig Geschichte. Dann kommen wir ins Büro und hören plötzlich auf, mit Emotion und Empathie zu kommunizieren. Warum?

Zum Finanz-Sektor passt Storytelling deshalb so besonders gut, weil wir es dort mit abstrakten Produkten zu tun haben und alles extrem datenlastig ist. Diese sperrige Materie müssen wir zum Leben erwecken. Privat erzählen wir zum Beispiel begeistert von unserem neuen Lieblingsitaliener und wie lustig es war, als Luigi den Kindern gezeigt hat, wie man den Pizzateig formt. In der Finanzbranche berichten wir, dass die Capricciosa 23,7 cm Durchmesser hatte, 12,80 EUR kostete und das Lokal 72 Plätze hat. Ich schaffe mehr Herz im Kopf – durch Storytelling.

Kann Storytelling nicht auch manipulativ wirken, so dass sich die Zuhörerinnen darüber ärgern, weil sie sich „ausgetrickst“ fühlen?
Nach meinem Verständnis nicht. Für mich hat Storytelling mit Authentizität zu tun. Wenn ich hinter einer Sache stehe und dazu eine Geschichte erzähle, dann kann ich damit überzeugen und im besten Fall die Menschen bewegen. Mit Manipulation hat das nichts zu tun. Ja, Storytelling ist kraftvoll, aber auch maximal authentisch, und deswegen so motivierend.

Es gibt unterschiedliche Persönlichkeiten, die man auch durch Farben beschreibt. Funktioniert Storytelling bei allen von ihnen – auch bei den sogenannten blauen, also rationalen Typen?
Ja, absolut! Storytelling funktioniert bei Jedem. Auch ein blauer Mensch ist ein Mensch und liebt Geschichten. Ein „Blauer“ braucht aber eine kürzere Geschichte oder eine Geschichte, die Daten, Zahlen und Fakten beinhaltet.

Wie zum Beispiel der Versuch mit den Flohmarkt-Artikeln, den ich gern zitiere: Die Organisatoren haben 125 verschiedene Trödelgegenstände für durchschnittlich 1 USD gekauft und sie dann jeweils mit einer Geschichte bei ebay wieder eingestellt – nur diesmal mit einer Story zu jedem Gegenstand. Und haben 2700 % mehr eingenommen – nur wegen der Geschichten.

Storytelling und Zahlen… passt das zusammen?
Definitiv! In den USA gibt es die Kommunikationsagentur Duarte. Die bieten Data-Storytelling und Schulungen für namhafte Firmen an. Es geht darum, Zahlen nicht nackt zu liefern, sondern sie in einen Kontext zu bringen. Das hat mir auch Corinna Valentine in meinem Podcast „Die Storytellerin – Überzeuge mit Gänsehautmomenten“ , der im Januar 2024 live geht, bestätig. Sie hat als CFO bei Fidelity immer Stories zu den Daten erzählt.

Wie wird man zu einer guten Storytellerin?
Ein wenig spielt natürlich die Persönlichkeit und das persönliche Talent eine Rolle. Aber wenn man die zwei Hauptkriterien „persönlich werden“ und die Heldenreise beachtet, kann jeder mit etwas Übung gute Geschichten erzählen.

Wenn nur ein bestimmtes Zeit- oder Zeilen-Kontingent zur Verfügung steht: Wieviel soll die Story ausmachen, und wieviel die Fakten, die eigentlich rübergebracht werden sollen?
Eine gute Hausnummer ist ein Verhältnis von 3 zu 30, also 3 Minuten Story zu 30 Minuten Thema. Eine am Anfang, und zwischendrin noch ein bis zwei kurze Anekdoten halte ich für passend.

Ist Storytelling ein reines Marketingtool?
Das habe ich am Anfang gedacht, aber dann habe ich mich damit beschäftigt und gemerkt, dass Storytelling viel mehr kann. Vor allem für´s Selbstbewusstsein. Ich sage immer: „Wenn man sich seiner Selbst bewusst wird, wird man auch ‚selbstbewusst`.“  Das ist besonders für uns Frauen wichtig: 66% aller Frauen sagen nämlich, sie hätten ein niedriges oder extrem niedriges Selbstbewusstsein. Da leistet personal Storytelling einen enormen Dienst für Female Empowerment. Und zwar ganz easy und nicht so abschreckend wie etwa Karrierecoaching oder personal branding. Und ist dennoch mindestens so kraftvoll. Daher buchen meine Workshops auch immer mehr Personalabteilungen für ihren weiblichen Führungsnachwuchs.

Welche drei Tipps möchtest Du unseren Leserinnen am Schluss mit auf den Weg geben?
Wenn Ihr Euren Personal Pitch entwickeln wollt, geht in diesen drei Schritten vor:

  1. Lasst Euch Euren Lebenslauf von einer Freundin vorlesen.
  2. Schreibt eine Laudatio auf Euch. Soll heißen: schreibt auf, welche Krisen und Herausforderungen Ihr gemeistert habt und wie.
  3. Kondensiert diese Rede auf maximal zwei Minuten.

Violá fertig ist Eure Core-Story für den Elevator Pitch. Ihr werdet sehen: Diese drei Steps boostern Euer Selbstbewusstsein.

Super – vielen Dank für dieses tolle Wissen über Storytelling!

Hier findet Ihr weitere Informationen zu Adriana Richter, und auf dem diesjährigen Fondsfrauen-Gipfel am 23. Januar gibt sie eine Master-Class in Storytelling.

Profilbild von Anke Dembowski

Anke Dembowski

Anke Dembowski ist Finanzjournalistin und Autorin verschiedener Investmentfonds- und anderer Finanzbücher. Sie ist außerdem Mit-Gründerin des Netzwerks „Fondsfrauen".

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