Eigentlich habe ich mich im Homeoffice – bis jetzt – ganz gut eingerichtet und arrangiert: die Technik ist optimiert, die Fenster geputzt, die Schränke aufgeräumt und aussortiert, die Fragen nach der Homeoffice Business Etikette und dem Dresscode in der Videokonferenz sind zwar noch offen, aber auch daran gewöhnt man sich…

Meine Ungeduld – wann ich meinen Kunden nicht nur virtuell sondern auch wieder persönlich begegnen kann – steigt allerdings langsam und stetig an und mit ihr war meine Erwartungshaltung, was am 15. April bei der Beratung zwischen der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten nun herauskommt, gestiegen.

Immer wieder war doch in den vergangenen Wochen zum Beispiel zu hören, dass die Verdopplungszahl DIE Kennziffer sei, auf die man schaue. Die müsse unbedingt oberhalb von 12, besser noch bei 14 liegen – so hieß es. Per 14. April war sie – nach Berechnungen der John Hopkins Universität – in etwa bei 25. Soweit so gut… ABER im Laufe der Zeit war eine weitere Kennzahl hinzugekommen, auf die man schaut: die Reproduktionszahl, welche – so die Aussage unserer Politiker und des Robert Koch Institutes – bei 1 oder besser noch darunter sein sollte. Diese lag um einen Wert von 0,8. Auch vielversprechend…

Am 15. April kam dann die Nachricht, dass nun doch nicht so viel an Lockerungen kommt, wie viele sich – ich selbst natürlich auch –erhofft haben.

Zähneknirschend nahm ich dies zur Kenntnis, und stellte mich auf weitere zwei Wochen „Cyber-Betrieb“, virtuelle statte reelle Kontakte, eingeschränkte Sport- und Einkaufsmöglichkeiten, Verbot des Soziallebens ein, verabschiede mich gedanklich von meinen Reiseträumen und begebe mich a la „und täglich grüßt das Murmeltier“ wieder in die tägliche Videokonferenzschleife und halte den Betrieb so gut es geht aufrecht.

Im privaten bemühe ich mich, mich über manch einen Mitmenschen nur zu wundern und nicht aufzuregen – das gäbe ja nur graue Haare und in Zeiten von Corona ohne Friseur auch nicht optimal.

Aber manchmal frage ich mich dann doch, wenn:

  • mir zum Beispiel eine Dame in der Schlange vorm Obstladen am Samstag verkündet, „dass der Shut Down doch so toll entschleunigend sei und alles so schön ruhig und langsam sei und sich die Leute doch nicht haben sollen wegen der Wirtschaft, dass sei ja nicht zu ändern“ –

ob manch einer denkt, wir hätten statt Oster- gerade Corona-Ferien und wenn die vorbei sind, ist alles wieder gut und wie vorher????

Nun ja, auch bei solchen Anekdoten versuche ich mich in „diese Ausnahmesituation“ einzufügen, breche keine Diskussion über „den Blick über den Tellerrand oder Gartenzaun, die wirtschaftlichen Folgen der Corona Krise, den gebeutelten Mittelstand und das mancherorts aufkommende Gefühl der Ungerechtigkeit und der ungleichen Verteilung der Folgen“ vom Zaun und gehe noch einmal mehr laufen – mittlerweile bin ich vom Laufmuffel zur täglichen Runden-Absolventin mutiert, um meine Stimmung und mein Energie-Level oben zu halten…

Am Montagmorgen ist es mit der hart erarbeiteten Gelassenheit beim Lesen folgender Schlagzeile vorbei:

„Öffnungsdiskussionsorgien – Merkel kritisiert die Bundesländer scharf“

Wie bitte? Jetzt wird kritisiert, dass intensiv, kontrovers, vielfältig, hitzig – wie auch immer – diskutiert wird??

Ich habe mich – zugebenermaßen – schon sehr schwer damit getan, als Frau Merkel am 15. April verkündet hat, dass man nun im zwei Wochen Rhythmus getroffene Entscheidungen zu Lockerungen diskutieren, bewerten, anpassen, weiter lockern oder – hoffentlich nicht erforderlich – wieder verschärfen werde.

In einer solchen Zeit, einer solchen Krise mit solchen weitreichenden und in weiten Teilen überhaupt noch nicht abzusehenden persönlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen wäre meine Erwartungshaltung, dass die Bewertung und Diskussion fortlaufend und nicht alle zwei Wochen erfolgt und – wo erforderlich und geboten – auch fortlaufend angepasst wird.

Im Studium habe ich mal gelernt, dass Grundrechtseinschränkungen (wie z.B. Berufsverbote für einige Berufe) und Schutzziele (Gesundheit der Bevölkerung durch Eindämmung des Virus) gegeneinander abgewogen werden müssen. Der Staat hat doch angesichts der Schwere der Eingriffe nicht nur die Pflicht, die Maßnahmen zu überprüfen, sondern auch ständig zu überprüfen, ob nicht mildere Maßnahmen in Betracht gezogen werden können?

Wenn die zwei Wochen-Überprüfungsfrist schon schwer verständlich ist, ist diese Kritik an „Öffnungsdiskussionsorgien“ ein Schlag ins Gesicht für alle diejenigen, die erwarten, dass die Politik sich – neben dem dringlichsten Thema der Eindämmung des Virus – fortlaufend und intensiv damit auseinander setzt, wann Unternehmen wieder den Betrieb aufnehmen können, Menschen aus der Kurzarbeit zurück kehren können usw.

Nun stattfindende Diskussionen und Spekulationen, wann was gelockert werden muss, warum welches Gewerbe als erstes oder als letztes dran sein sollte etc., mögen anstrengend und kräftezehrend sein, aber sie sind nun mal notwendig und Teil einer Demokratie.

Diese als „Öffnungsdiskussionsorgien“ abzutun, zeigt nicht nur, wie wenig sich manch ein Politiker mit den Sorgen und Nöten vieler Menschen auseinander setzt, sondern wirft auch ein bedenkliches Bild auf unsere Demokratie.

Diskussionen – so irrational, heftig und kontrovers sie auch geführt sein mögen – zeigen, dass sich mit den Sorgen und Nöten auseinander gesetzt wird, was schon dazu führen kann, dass sich Gemüter beruhigen und verstanden fühlen. Sich über „Öffnungsdiskussionsorgien“ – jetzt schon mein persönliches Unwort 2020 – aufzuregen und diese scharf zu kritisieren, reizt die ohnehin schon brach liegenden Nerven unnötig.

Das musste mal raus – und jetzt? Zurück an den Schreibtisch, aber erst mal eine Runde laufen, nötig habe ich es !

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Katja Lammert, Autorin dieses Kommentars, ist freiberufliche Anwältin und berät in- und ausländische Asset Manager, Kapitalverwaltungsgesellschaften und Investoren.

Kontakt: Lammert Legalconsulting
kl@lammert-legalconsulting.com

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