Seit 2015 gilt eine gesetzliche Geschlechterquote von 30% für die Aufsichtsräte der großen Börsenunternehmen. Obwohl nur etwa die Hälfte der 160 Börsenunternehmen von diesem Gesetz betroffen ist, ist der Frauenanteil in den Aufsichtsräten bei allen Unternehmen im Durchschnitt auf 30% angestiegen, scheint aber nun zu stagnieren. Mit einem Anteil von weniger als einem Drittel sind Frauen in den Aufsichtsräten weiterhin stark in der Minderheit. Das fand die schwedisch-deutsche Albright Stiftung, die sich für mehr Frauen in Führungspositionen in der Wirtschaft einsetzt, in ihrer 2019er Studie heraus.

In den Aufsichtsräten liegt der Frauenanteil am 1. Februar bei 30,2% (1195 Männer, 517 Frauen). Der durchschnittliche Börsenaufsichtsrat besteht aus 11 Mitgliedern: 8 Männern und 3 Frauen. Ein gutes Drittel (37%) der Aufsichtsratsmitglieder sind Arbeitnehmer-Repräsentanten. Die Arbeitnehmerseite lässt sich etwas häufiger von Frauen vertreten: 34% der Arbeitnehmer- und 28% der Anteilseigner-Repräsentanten in den Aufsichtsräten sind Frauen.

Keine Frau im Aufsichtsrat bedeutet weniger Frauen im Vorstand
Aufsichtsräte, in denen gar keine Frauen vertreten sind, rekrutieren noch weniger Frauen (6,2%) als andere Aufsichtsräte. Aufsichtsräte mit 40% oder mehr Frauen rekrutieren allerdings auch nicht wesentlich mehr Vorstandsfrauen (10,3%) als der Durchschnitt: Noch wirkt sich der erhöhte Frauenanteil also kaum aus.

Der Thomas-Kreislauf
Dennoch: Der oder die Aufsichtsratsvorsitzende spielt die entscheidende Rolle dabei, Frauen in die Vorstände zu bringen. Als Vorsitzender des Besetzungsausschusses für den Vorstand (in 52% der Fälle ein rein männliches Gremium) schlägt er (in 94% der Fälle ein Mann) in der Regel in enger Zusammenarbeit mit dem CEO (zu 97,5% ein Mann) dem Aufsichtsrat die Kandidaten vor.

Das in dieser Zusammenarbeit rekrutierte Vorstandsmitglied ist in gut 91% der Fälle: ein Mann, der beiden sehr ähnlich ist. Die häufigsten Namen in den deutschen Aufsichtsräten sind Michael (53), Thomas (36) und Stefan (34). Am häufigsten heißen Aufsichtsratsvorsitzende Michael (10). Die Vorstandsvorsitzenden heißen am häufigsten Thomas (8) oder Stefan (10) und folgerichtig sind die häufigsten Namen in deutschen Börsenvorständen: Thomas (30) und Michael (29). Der Aufsichtsratsvorsitzende und der Vorstandsvorsitzende rekrutieren – bewusst oder unbewusst – jüngere Kopien von sich selbst und schaffen so in Geschlecht, Alter, Herkunft und Ausbildung extrem homogene Vorstände. Frauen und beispielsweise Ostdeutsche fallen dabei durchs Raster.

Aus dem Vorstand in Den Aufsichtsrat
Diese Thomasse und Michaels werden zu einem guten Teil in absehbarer Zeit selbst mit der Rekrutierung neuer Vorstandsmitglieder befasst sein und den Kreislauf fortsetzen: 19% der Aufsichtsratsvorsitzenden waren zuvor Vorstand, 12% waren zuvor CEO im selben Unternehmen – auch das trägt zur Homogenität und Kontinuität im deutschen Top-Management bei und verzögert notwendige Veränderungen und Erneuerungen.

Headhunter Präsentieren gern „sichere“ Kandidaten
In fast alle Vorstandsrekrutierungen sind heute Headhunter involviert. Sie sind an der Erstellung der Kandidatenlisten beteiligt und können externe Managerinnen als Kandidatinnen ins Spiel bringen. Allerdings ist es für sie am effektivsten, „sichere“ Kandidaten zu präsentieren: jemanden, von dem sie annehmen, dass er mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden zuverlässig harmoniert – und das ist meist der Fall, wenn die Person ihm in Hintergrund und Erfahrung ähnlich ist; so führt der Prozess möglichst schnell und reibungslos zur erfolgreichen Besetzung. Den Ausschuss von einer Kandidatin zu überzeugen, bedeutet mehr Aufwand und Risiko, und so sind Frauen auf der Liste dann häufig nur Zählkandidatinnen und der Headhunter trägt zum „Thomas-Kreislauf“ bei.

Handlungsempfehlungen
Die Albright Stiftung hat Handlungsempfehlungen, wie dieser Kreislauf durchbrochen werden kann. Laut der Stiftung kann mit den folgenden Maßnahmen der Rekrutierungsprozess für die Vorstände weiter professionalisiert und der Frauenanteil in den Vorständen nachhaltig erhöht werden:

  • Der/die Aufsichtsratsvorsitzende beruft im Unternehmensinteresse mehr Frauen in die Besetzungsausschüsse (auch als Ausschussvorsitzende) und besteht bei Vorstandsrekrutierungen auf einer Shortlist mit mehreren Frauen.
  • Die Frauen im Aufsichtsrat fordern entschiedener weibliche Besetzungen für den Vorstand ein und bemühen sich dafür auch um einen Sitz oder Vorsitz im zuständigen Besetzungsausschuss.
  • Der Aufsichtsrat stimmt einer »Zielgröße null« für den Vorstand niemals zu.
  • Der Aufsichtsrat verlangt vom Vorstand, eine signifikante Pipeline an Managerinnen bis auf die Ebene unterhalb des Vorstands zu befördern und bei der langfristigen Nachfolgeplanung für Vorstandspositionen stets mindestens eine Frau einzubeziehen.
  • Großinvestoren verankern klare Vorgaben für den anzustrebenden Frauenanteil in Aufsichtsrat und Vorstand in ihren „Voting Guidelines“ und richten ihr Stimmverhalten bei den Hauptversammlungen danach aus.

Null ist echt wenig!
53 von 160 Aufsichtsräten haben sich einen Frauenanteil von null Prozent im Vorstand zum Ziel gesetzt. Und zwar haben die folgenden Unternehmen die Zielgröße null Prozent:

  • Adler Real Estate
  • Aixtron
  • Astria Office Reit
  • Aumann
  • Bechtle
  • Brenntag
  • Cancom
  • Compugroup Medical
  • Delivery Hero
  • Deutsche Wohnen
  • 1 & 1 Drillisch
  • Dürr
  • Fielmann
  • Freenet
  • HeidelbergCement
  • Heidelberger Druckmaschinen
  • HelloFresh
  • Hochtief
  • Hypoport
  • Indus
  • Jenoptik
  • Jost Werke
  • K + S
  • Klöckner & Co
  • Koenig & Bauer
  • Krones
  • LEG Immobilien
  • MTU Aero Engines
  • Nemetschek
  • Nordex
  • Norma Group
  • Rational
  • Rheinmetall
  • Rhön Klinikum
  • RIB Software
  • Rocket Internet
  • RWE
  • Scout24
  • SGL Carbon
  • Siltronic
  • Sixt
  • Software
  • Südzucker
  • Takkt
  • Tele Columbus
  • TLG Immobilien
  • United Internet
  • Vossloh
  • VTG
  • Wacker Chemie
  • Wacker Neuson
  • XING
  • Zalando

Eine lange Liste? Ja! Wir hoffen, dass diese Liste bald deutlich kürzer wird, denn Null ist wirklich nicht viel!

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Anke Dembowski

Anke Dembowski ist Finanzjournalistin und Autorin verschiedener Investmentfonds- und anderer Finanzbücher. Sie ist außerdem Mit-Gründerin des Netzwerks „Fondsfrauen".

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