Prof. Dr. Rudi Zagst unterrichtet Mathematik am Lehrstuhl für Finanzmathematik an der Technischen Universität München (TUM). Dort gibt es unter anderem den renommierten Masterstudiengang Finance and Information Management. Wir unterhalten uns mit ihm darüber, wie es um die Frauenquote an seinem Lehrstuhl bestellt ist. Mit Prof. Zagst kooperieren die Fondsfrauen demnächst in einem Schulprojekt zur finanziellen Bildung. Darin sollen Schülerinnen und Schüler der Mittel- und Oberstufe über Geldanlagen und Altersvorsorge aufgeklärt und ihnen das notwendige Finanzwissen vermittelt werden, um in diesen Bereichen verantwortungsvoll und erfolgreich agieren zu können. Eine digitale Info-Veranstaltung mit Prof. Rudi Zagst und Fondsfrauen-Beirätin Evi Vogl zu diesem Schul-Projekt findet am Donnerstag, den 18. Juli, von 12:30 – 13:30 Uhr statt.

Herr Professor Zagst, um welche Themen geht es in Ihren Vorlesungen?
Ich unterrichte Finanzmathematik. Dabei geht es um alle Dinge, die mit Finanzen und quantitativen Methoden zu tun haben – von der Kapitalanlage über Investmentstrategien, bis hin zu allen Fragen der Finanz- und Versicherungsmathematik. Mathematik für Lehramt wird in unserem Fachbereich nur im Rahmen der Servicelehre für andere Schools gelehrt.

Wie hoch ist die Frauenquote in Ihren Vorlesungen über Finanzmathematik?
Im Bachelorstudiengang Mathematik haben wir im Prüfungsjahr 2023/24 genau 30,6% weibliche Studierende. Im Master-Studiengang ist die Frauenquote etwas höher, dort sind es in diesem Prüfungsjahr 36,1%. Auch im längerfristigen Zeitverlauf ist der Frauenanteil im Masterstudiengang höher als im Bachelorstudiengang – der Unterschied liegt im Schnitt bei rund 2-6 Prozentpunkten.

Wie überraschend, dass die Frauenquote im Masterstudiengang höher ist als im Bachelorstudiengang! Haben Sie dafür eine Erklärung?
Ja, das hat mich auch überrascht, als wir die Zahlen untersucht haben. Ich erkläre mir das so: Im Masterstudiengang kommen auch Studierende aus dem Ausland, denn für den Master besteht die Möglichkeit, die Universität zu wechseln. Im Ausland scheint der Frauenanteil in Mathematik höher zu sein als in Deutschland. Eine weitere Erklärung könnte sein, dass die Studentinnen im Bachelor mehr Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit gewonnen haben und sich dann auch an den sehr guten Unis bewerben.

Wie hoch ist das Interesse weiblicher Studierender bei den sonstigen betriebswirtschaftlichen Studiengängen?
Die genauen Daten habe ich nur von unserem Department. Wir wissen aber, dass beispielsweise in den Bereichen Bioinformatik und Biomedical Computing der Frauenanteil höher ist.

Wie ist denn die Entwicklung des Frauenanteils im Bereich Mathematik?
Wenn ich mich an meine Studentenzeit erinnere, da waren vielleicht 10% meiner Kommilitonen weiblich; im Fachbereich Biologie war der Frauenanteil damals z.B. deutlich höher. Jetzt liegen wir bei etwa einem Drittel Frauen im Fachbereich, das ist schon mal eine positive Entwicklung, die mich sehr freut. Aber unser Ziel ist es, auf eine ausgeglichene Quote zu kommen, also auf 50% weibliche Studierende im Bereich Mathematik.

Sie haben gute Daten zusammengestellt. Aus denen ist ersichtlich, dass im 10-Jahreszeitraum 2014 bis 2024 der Frauenanteil bei Ihnen im Fachbereich stark schwankt. Bei den Erstsemester-Zulassungen im Masterstudiengang schwankt die Frauenquote zwischen 25 und 50%. Woran liegt das?
Dafür habe ich leider auch keine plausible Erklärung. Das Prüfungsjahr 2017/18 war statistisch gesehen ein Ausreißer, denn da war die Quote mit 50:50 ausgeglichen. Davor hatten wir eine kontinuierliche Erhöhung von ca. 25.8% auf 39.6% im Jahr 2016/17. Dann kam der Ausreißer im Jahr 2017/18. Danach blieb der Frauenanteil regelmäßig zwischen 34% und 42%. Ein mögliches Szenario für die erhöhte Zahl der Zulassungen im Jahr 2017 könnte damit zusammenhängen, dass Schüler, die im Schuljahr 2004/2005 in das G8 eingetreten sind, 2012 ihr Abitur gemacht haben. Diese könnten dann bis 2016 ihren Bachelor abgeschlossen und sich anschließend für einen Masterstudiengang eingeschrieben haben. 2017 wäre somit ein Jahr, in dem besonders viele Studierende, die dem ersten G8-Jahrgang angehörten, ihr Masterstudium begonnen haben. Aber das ist natürlich sehr hypothetisch. Als Mathematiker würde ich hier eher eine Trendlinie zeichnen und die Ausreißer ignorieren. Und da freut es mich, dass der Anteil der jungen Damen in unserem Fachbereich nach oben tendiert, wenn auch nur leicht.

Können Sie Leistungs-Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Studierenden feststellen?
Wenn ich mir die durchschnittlichen Abschlussnoten der männlichen und weiblichen Studierenden ansehe, dann liegen die Noten der Männer hauchdünn über denen der Frauen. Aber ich würde sagen, das ist statistisch nicht signifikant. Wenn Frauen in das Fach Mathematik einsteigen, dann sind sie also genauso erfolgreich! Bei der Auswertung der Daten hat mich positiv überrascht, dass Frauen bei den Zulassungen im Master-Programm zwar nur einen Anteil von 36% hatten, aber bei den Master-Abschlüssen von 42%. Das zeigt: Von denjenigen Frauen und Männern, die das Programm beginnen, schließen mehr Frauen ab als Männer; die ziehen die Sache also durch!

Eine Promotion im Fach Mathematik streben viel weniger Frauen als Männer an. Haben Sie eine Vermutung, woran das liegt?
Bei den Immatrikulierten im 1. Semester der Promotion haben wir derzeit eine Frauenquote von 31%. Das ist in etwa gleich mit dem Bild bei den Studienanfängern, wo die Quote bei 30,6% liegt, aber es ist weniger als die Starterinnen im Master-Programm (36%). Wir hatten allerdings am Lehrstuhl für Finanzmathematik auch schon einmal eine 50-prozentige Quote bei den Promotionen. Wir führen viele Gespräche mit angehenden Doktorandinnen; Motivation und Vertrauen in die eigene Stärke ist dabei ein großes Thema. Eine Doktorandin, mit der ich viele Gespräche geführt habe, hat am Ende ermutigt begonnen und eine der besten Promotionen bei uns geschrieben. Sie arbeitet jetzt erfolgreich in der Industrie.

Als Erklärung sehe ich bestimmt nicht, dass junge Frauen weniger mathematisches Verständnis haben, sondern dass sie oft eine andere Lebensplanung besitzen als junge Männer. Viele möchten nach dem Studium erste Berufserfahrung sammeln, bevor sie eine Familie gründen. Mit einer Promotion gehen schnell mal 3-4 Jahre ins Land. Dann wären die Frauen um die 30. Wenn sie dann noch Praxiserfahrung sammeln möchten, käme das 1. Kind etwa mit 35 – das planen viele anders.

Wie sieht es denn in der Professorenschaft aus?
Bei den Professorinnen sind wir im Fachbereich mit einer Quote von 24% leider noch nicht in der Größenordnung, die wir uns wünschen. Wir sind aber stetig bemüht, diese Quote zu erhöhen.

Was tun Sie am Department, um mehr Frauen für ein Mathematik-Studium zu begeistern?
Zunächst möchte ich sagen, dass wir froh sind, dass wir rund 1/3 Frauen im Studiengang haben. Das ist schon viel, wenn man überlegt, wo wir herkommen. Ich freue mich aber sehr, wenn wir einmal bei den 50% Frauen angekommen sind. Wir tun viel, um junge Frauen zu bestärken und zu motivieren. Wer Spaß daran hat, sollte es sich gönnen, seinen Forschungsgeist bei uns weiter zu entwickeln. Dazu versuche ich, den Frauen etwas Stress aus der Zeitplanung zu nehmen. Ich sage ihnen: „Ihr arbeitet mindestens bis 67 und die Gesamtarbeitszeit wird eher länger; damit wird selbst inklusive der Zeit für eine Promotion die Gesamtarbeitszeit im Beruf nicht unbedingt weniger.“ Manche, aber natürlich nicht alle Beweggründe, warum Frauen NICHT promovieren, kann ich damit vielleicht ein wenig entschärfen. Und natürlich beteiligen sich heute zum Glück wesentlich mehr Männer an der Kinderbetreuung als früher. Das ist finde ich eine sehr gute Entwicklung.

Ein weiterer Aspekt, den ich proaktiv anbiete: Wir arbeiten sehr viel mit der Industrie zusammen. Das bietet jungen Frauen (und Männern) die Möglichkeit schon während der Promotion mit Unternehmen zusammen zu arbeiten, um Praxiserfahrung zu sammeln. So können wir zumindest ein wenig gegen das biologische Ungleichgewicht angehen.

Was tun Sie organisatorisch an Ihrem Lehrstuhl, um Gleichberechtigung und Chancengleichheit für Frauen zu fördern?
Wir gehen in die Schulen, und versuchen beim Übergang vom Abitur zur Universität jungen Frauen das Fach Mathematik näher zu bringen, indem wir ihnen Mut machen, Mathe zu studieren. Auch beim Onboarding an der Universität legen wir schon von Beginn an sehr viel Wert auf eine Chancengleichheit für Männer und Frauen.

Die ohnehin verpflichtenden Einrichtungen wie die Frauenbeauftragten, haben wir natürlich auch. Sie kümmern sich z.B. darum, dass Chancengleichheit besteht, bis hin zum Schutz von Frauen in allen möglichen Studien- und Lebenssituationen.

Außerdem versuchen wir durch spezielle Schulungen Studierende, Promovierende, Professorinnen und die Menschen, die in den Service-Bereichen arbeiten, zu sensibilisieren. Sie sollen die speziellen Bedürfnisse von Frauen wahrnehmen, um dann entsprechend reagieren zu können. Auch in den Formulierungen bei Vorlesungen und Vorträgen legen wir Wert darauf, dass genderneutral formuliert wird. Das wird auch kontrolliert.

Bieten Sie auch spezielle Programme für Frauen?
Ja, wir haben z.B. das Programm „Facettes of Mathematicians“. Das ist eine Diskussionsrunde, in der es besondere Themen für Mathematikerinnen gibt. Daneben gibt es spezielle Kaminabende, wo junge Frauen ihre Ängste und Wünsche unter sich besprechen können.

Wir haben an der Uni ein Kinderzimmer, um Frauen zu signalisieren: Auch mit Kindern seid Ihr willkommen! Wir haben z.B. auch eine junge Dame aus Afrika mit 2 Kindern, die wir mit Sponsorengeldern unterstützt haben und die demnächst abschließt. Ich bin sehr stolz, dass wir das hinbekommen haben.

Bei unserem Programm „Women in Mathematical Science“ bekommen Doktorandinnen die Möglichkeit, ihre Forschungsergebnisse international zu präsentieren. Hier erstatten wir beispielsweise die Reisekosten, wenn unsere Forscherinnen als Speakerinnen zu Symposien und auf Kongresse eingeladen werden.

Auch unser wissenschaftliches Programm „Women in Probability“, in dem internationale Wahrscheinlichkeitstheoretikerinnen über ihre Forschung berichten, zeigt: Es geht!

Aktuell planen Studierende unseres Studiengangs Finance and Information Management die neue Reihe „Frauen im Finanzwesen und in der Digitalisierung“, eine Initiative zur Würdigung der herausragenden Leistungen von Frauen in der Welt des Finanzwesens und der Digitalisierung sowie der Fortschritte, die von außergewöhnlichen Frauen in diesen Bereichen erzielt wurden. Eine neue Möglichkeit, um dringend benötigte weibliche Vorbilder im Finanzwesen zu präsentieren und den Dialog über die Diversifizierung der Talentpipeline und die Bekämpfung der notorischen Geschlechterlücke in diesem Sektor zu fördern. Es ist geplant, gleich zu Beginn zwei Fondsfrauen an den Start zu schicken.

Und demnächst arbeiten wir mit den Fondsfrauen zusammen, indem wir Finanzwissen in die Schulen bringen. Hierbei möchten wir nicht nur Finanzwissen vermitteln, sondern auch Schülerinnen für ein Mathe-Studium motivieren indem wir zeigen: Seht, es gibt viele Frauen, die im Finanzsektor arbeiten und sehr erfolgreich sind!

Was ist Ihre Motivation dabei?
Es ist mir ein Anliegen, junge Frauen zu motivieren und darin zu bestärken, dass sie sich mehr zutrauen. In den Auswahlgesprächen für unseren Studiengang Finance & Information Management sehen wir, dass Frauen oftmals viel zurückhaltender sind als Männer. Männer behaupten, viele Dinge zu können; wenn man dann aber nachhakt, haben die Frauen oft mehr drauf, aber sie erwähnen es gar nicht. Ich möchte Frauen daher Mut machen, selbstbewusster aufzutreten. Männer sehen so etwas vielleicht sportlicher.

Ich möchte den Fondsfrauen zurufen: Halten Sie Augen und Ohren offen, und ermutigen Sie alle jungen Damen, die Potenzial und Interesse haben, zu studieren, gerade die Mint-Fächer! Jeder Prozentsatz, der hier ansteigt, ist ein Erfolg. Schicken Sie sie gern zu uns ins Gespräch. Am Lehrstuhl sind wir gerne bereit, Auskunft zu geben und Mut zu machen! Es muss allerdings ein verantwortungsvolles Ermutigen sein, denn zu viel Druck ist auch nicht gut. Wenn jemand in Mathematik nicht talentiert ist, zeige ich auch gern andere Wege auf, die für das Individuum möglicherweise besser sind. Ich würde niemanden in unseren Studiengang hineindrängen, wenn ich von vornherein weiß, es macht die Person nicht glücklich und provoziert Probleme. Wir beobachten seit einiger Zeit, dass die Fälle psychischer Erkrankungen unter Studierenden zunehmen. Das ist wirklich schade. Bei aller Förderung und Motivation muss man auch drauf achten, dass man den jungen Menschen eine gute, passende Empfehlung gibt.

Welche Tipps können Sie für junge Damen geben?
Natürlich muss man gut und motiviert sein, wenn man weiterkommen möchte – das gilt für Frauen wie für Männer. Aber Netzwerken gehört auch dazu. Vorgesetzte sollten die Talente ihrer MitarbeiterInnen erkennen und fördern. Dann öffnen sich Türen. Es braucht Türöffner, aber dann müssen die Chancen auch erkannt und mutig wahrgenommen werden. Das möchte ich Frauen besonders ans Herz legen.

Vielen Dank für dieses Interview und dem damit einhergehenden Motivationsschub!

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Anke Dembowski

Anke Dembowski ist Finanzjournalistin und Autorin verschiedener Investmentfonds- und anderer Finanzbücher. Sie ist außerdem Mit-Gründerin des Netzwerks „Fondsfrauen".

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