Ulrike Reiche gilt als ausgewiesene Expertin für Entschleunigung im Berufs- und Privatleben. Sie berät Unternehmer und leitende Führungskräfte auf dem Erfolgsweg. Heute hat sie für die Fondsfrauen einige ihrer Gedanken zum Thema „Arbeiten im Homeoffice“ zusammengestellt, über die es sich nachzudenken lohnt.

Was denken Sie: Ist Homeoffice ein Fluch oder doch ein Segen? Neben die zeitliche Flexibilisierung tritt nun auch die räumliche: der Ruf nach Homeoffice wird immer lauter. Womöglich wird künftig der Anspruch darauf schon bald gesetzlich verankert werden.

Auf Seiten der Mitarbeiter resultiert der Wunsch nach Homeoffice aus dem Bedürfnis, Arbeits- und Privatleben besser miteinander vereinbaren zu können. Dabei ist die Rechnung ganz einfach: wer sich z.B. 2 x pro Woche einen einstündigen Arbeitsweg sparen kann, gewinnt einen halben Arbeitstag Zeit. Zeit, die für die wichtigen Beziehungen und persönlichen Interessen zur Verfügung steht, anstatt im Stau zu stehen oder in übervollen Pendlerzügen zu sitzen. Die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, hat also in vielfacher Hinsicht eine entschleunigende Wirkung: sie entlastet nicht nur verstopfte Verkehrswege, sondern sie schafft auch flexible, frei gestaltbare Zeit und nimmt Anstrengung aus dem Alltag.

Traum oder Albtraum?
Nun erleichtert uns das Arbeiten im Homeoffice, das Privatleben nach eigenem gusto zu organisieren. Dennoch ist es kein Allheilmittel. Die Ergebnisse einer aktuellen Studie mit Zuhause arbeitenden Müttern deuten auf eine erhöhte Belastung aus Kinderbetreuung, Hausarbeit und Berufstätigkeit hin. Die Studienergebnisse zeigen, dass Homeoffice kein Mehr an Freizeit bietet und viel mehr zu Lasten sowohl von Müttern als auch von Vätern geht. Was sich zunächst einmal nach mehr Lebensqualität anhört, verkehrt sich in vielen Fällen sogar ins genaue Gegenteil.

Den Beschäftigten bietet Homeoffice die Möglichkeit, zumindest einen Teil der Arbeit wohnortnah und zeitlich flexibel auszuüben. Damit aus dem Traum vom standortunabhängigen Arbeitsplatz kein Albtraum wird, sind einige Dinge zu beachten.

Selbststeuerung und Disziplin
Wer Zuhause produktiv arbeiten will, braucht dafür die Fähigkeit zu einer gesunden Selbststeuerung sowie Disziplin. Den wenigsten Menschen ist dies in die Wiege gelegt. Hinzu kommt die Notwendigkeit, das private Umfeld anzupassen, angefangen bei der Einrichtung eines Arbeitsplatzes bis hin zur Sensibilisierung der Angehörigen.

Das ist nicht jedermanns Sache. Für manch eine Person ist es unabdingbar ist, inmitten eines Teams zu sitzen. Sie wird durch das Büroumfeld, ihren Arbeitsplatz und geregelte Arbeitszeiten strukturiert und diszipliniert. Andere brauchen klare Aufgabenstellungen, um ins Tun zu kommen. Diesen Menschen würde ich immer vom Homeoffice abraten. Nicht nur, weil wahrscheinlich ihre Arbeit darunter leidet, sondern auch, weil sie gegen ihre eigenen Neigungen anarbeiten müssten, was immer mit Anstrengung einhergeht und zusätzlichen Stress erzeugt.

Tausche Präsenzkultur gegen Vertrauen
Doch auch dort, wo Homeoffice grundsätzlich denkbar wäre, reicht erfahrungsgemäß eine gut formulierte Betriebsvereinbarung nicht aus, um die Möglichkeiten des mobilen Arbeitens mit Leben zu füllen. Denn in vielen Unternehmen herrscht immer noch eine Präsenzkultur, häufig gepaart mit einem gewissen Kontrollbedürfnis seitens der Führungskräfte, aber auch von Kollegen.

Die Annahme, dass Heimarbeiter weniger engagiert seien und Leistung zurückhalten könnten, ist sehr verbreitet. Hinter der Verlagerung des Arbeitsplatzes nach Hause steht letztlich die berechtigte Erwartung des Arbeitgebers, dass dort das vereinbarte Leistungspensum erledigt wird. Für die Unternehmen, für Führungskräfte und Teams, bedeutet mobiles Arbeiten einen erhöhten Abstimmungsaufwand, neue Formen der Arbeitsorganisation und ein anderes Führungsverhalten.

Davor scheuen viele Entscheider zurück: sie stehen der Einführung von Homeoffice tendenziell skeptisch bis eindeutig ablehnend gegenüber.

Sie sind nämlich damit herausgefordert, Teams virtuell zu führen, Arbeitslasten gleichmäßig zu verteilen und Anwesenheiten zu steuern, damit nicht alle an Montagen oder Freitagen gleichzeitig Homeoffice machen. Manch einer Führungskraft erscheint das zu viel organisatorischer Aufwand. Diese Einstellung lässt sich nicht per Gesetz oder durch top-down-Anordnung beeinflussen.

Differenziertes Hinschauen lohnt sich
Mobiles Arbeiten, insbesondere Homeoffice, erfordert eine veränderte Arbeitskultur und ein neues Führungsverständnis. Im Zweifel gilt für alle Beteiligten, lang praktizierte und lieb gewonnene Gewohnheiten zu verändern. Ein guter Anfang ist gemacht, wenn im beruflichen Umfeld differenziert hingeschaut wird, für welche Teams, Personen und Aufgabenstellungen mobiles Arbeiten tatsächlich sinnvoll in Frage kommt. So geht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung von 60 % der Beschäftigten aus, für die Heimarbeit aufgrund ihrer Tätigkeiten ohnehin keine Option ist.


Über die Autorin:
Ulrike Reiche ist Entschleunigungs-Expertin. Sie hat einen eigenen Blog, in dem sie viel Nachdenkenswertes über Zeit schreibt.
Ihr neu erschienenes Buch „Slow Work Slow Life – entschleunigt und gelassener leben“ haben wir hier vorgestellt.

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