Dr. Judith Kerschbaumer leitet den Bereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik bei der ver.di Bundesverwaltung. Sie befasst sich intensiv mit dem Thema Altersvorsorge und kennt die Schwierigkeiten vieler Frauen, selbst eine auskömmliche Altersvorsorge aufzubauen. Derzeit arbeitet sie an einem Sozialpartner-Modell für die Dienstleistungsbranche, was dann das erste tarifvertragliche Sozialpartner-Modell wäre. Wir sprechen mit ihr über die Themen Altersvorsorge für Frauen, Garantien und Sozialpartnermodell.

Frau Dr. Kerschbaumer, als Vertreterin der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di befassen Sie sich intensiv mit dem Thema Altersvorsorge. Was fällt Ihnen auf, wenn Sie speziell auf den Rentenbescheid von Frauen schauen?
Leider fallen die Renten von Frauen immer noch deutlich geringer aus als die von Männern. Neu-Rentnerinnen beziehen aktuell eine Altersrente von rund 785 Euro, Neu-Rentner hingegen von rund 1.130 Euro, jeweils nach Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung vor Steuern. [Zahlen aus: Rentenversicherung in Zeitreihen Oktober 2020, S. 118/119]. Ursachen sind in der hohen Teilzeitbeschäftigung und den meist immer noch geringeren Entgelten von typischen Frauenberufen zu sehen.

Wie hoch ist die durchschnittliche Betriebsrente von Frauen, und wie hoch ist die von Männern?
Auch hier hinken die Frauen deutlich hinter den Männern her. Während jeder dritte Rentner eine Betriebsrente von durchschnittlich 563 Euro netto bezieht, hat heute nur jede vierte Rentnerin eine Betriebsrente von durchschnittlich 274 Euro netto. In den neuen Bundesländern bezieht nur jede fünfte Rentnerin eine Netto-Betriebsrente von durchschnittlich 148 Euro. [Zahlen aus dem Alterssicherungsbericht 2020, Tabelle B.4.2.]

Sie fordern mehr Eigeninitiative der Bürgerinnen und Bürger bei der Gestaltung ihrer Altersvorsorge. Was sollte getan werden, um das Interesse und damit auch die Eigeninitiative der Menschen in Sachen Altersvorsorge zu fördern?
Am wichtigsten ist es, bereits in jungen Jahren Interesse an der späteren Versorgung im Alter zu entwickeln und sich zu informieren. Die geplante „trägerübergreifende Vorsorgeinformation“, die Informationen zu allen Formen der Altersversorgung liefern soll, kann dabei eine wichtige Hilfe werden. Im Betrieb sollte der Arbeitgeber aufgefordert werden, eine betriebliche Altersversorgung (bAV) anzubieten und sie zumindest maßgeblich mitzufinanzieren.

Es ist nicht immer gewährleistet, dass die Beratung zum Thema Altersvorsorge, wenn sie von den Produktanbietern selbst kommt, optimal ist, da oft auch verkäuferische Aspekte eine Rolle spielen. Wo können sich Frauen zur Optimierung ihrer bAV beraten lassen?
Bei Verbraucherschutzorganisationen, ihren Betriebsrätinnen und Betriebsräten und bei der gesetzlichen Rentenversicherung.

Sie treten dafür ein, eine Lebensstandardsicherung aus zwei Säulen zu erreichen. Daher wollen Sie die Verbreitung der bAV fördern. Die Fondsbranche stellt ja eher die 3. Säule dar. Einfach nur mit Fonds ein finanzielles Polster für die Altersvorsorge aufzubauen ist auch eine Möglichkeit. Was sind aus Ihrer Sicht die Vor- und was die Nachteile der privaten Vorsorge über Investmentfonds?
Nur in der zweiten Säule, bAV, können Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber an der Finanzierung der späteren Betriebsrente beteiligt werden oder den Aufbau vollständig finanzieren. Zudem gibt es in der bAV attraktive staatliche Fördermöglichkeiten. Bei einem Monatsgehalt bis zu 2.575 Euro erstattet das Finanzamt 30 % der Aufwendungen des Arbeitgebers zur bAV seiner/ihrer Beschäftigten. Das kommt ganz besonders Frauen zugute.
In der dritten Säule, also bei privater Vorsorge, spart jede/jeder alleine.

Gerade bei der bAV kommt immer wieder das Thema einer Pflicht-Mitgliedschaft auf. Sollte man aus dem freiwilligen System ein Pflicht-System machen?
Eine Pflicht ist nur dann sinnvoll, wenn es auch eine Pflicht der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gibt, sich an der Finanzierung zu beteiligen. Eine Pflicht-Mitgliedschaft nützt den Frauen wenig, die kein Geld erübrigen können, sich zusätzlich abzusichern, weil sie jeden Cent für das tägliche Leben benötigen.

Sie treten für eine starke Einbeziehung der Arbeitgeber an der Finanzierung der bAV ein. Wie sollen Menschen am besten eine Altersversorgung aufbauen, die keinen Arbeitgeber haben? Also z.B. Selbständige, Arbeitslose, Hausfrauen?
Eine Rente hat immer den Zweck, ausfallenden Lohn im Alter zu ersetzen. Wer also keinen Lohn im Erwerbsleben bezieht, hat eine Einkommensquelle, die im Alter hoffentlich nicht wegfällt. Deshalb sollten sich gerade Hausfrauen überlegen, erwerbstätig zu sein. Denn die Ehe ist zumeist keine zuverlässige Absicherung für das Alter. Für Selbständige sollte ebenso wie die Einbeziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung, zu der es in dieser Legislaturperiode leider nicht mehr gekommen ist, der Aufbau einer bAV ermöglicht werden. Arbeitslose im Arbeitslosengeld I -Bezug sind in der gesetzlichen Rentenversicherung abgesichert. Da Phasen der Arbeitslosigkeit nur zeitlich begrenzt sein sollten, kann eine bAV in den Erwerbsphasen zu einer späteren Betriebsrente beitragen.

Aktuell wird ziemlich emotional über die Rente mit 68, 69 oder 70 debattiert. Wie sehen Sie die Erhöhung des Renteneintrittsalters? Ist es schlicht eine Notwendigkeit, die sich aus der Demografie ergibt, oder gibt es Wege, sie zu vermeiden?
Es gibt keine Notwendigkeit, das Renteneintrittsalter weiter hinauszuschieben, zumal viele Versicherte das heutige gesetzliche Renteneintrittsalter noch nicht erreichen. Wir wissen, dass gerade durch den bevorstehenden Renteneintritt der Babyboomerjahrgänge die gesetzliche Rente vor großen Finanzierungsherausforderungen steht. Diese können aber gemeistert werden. Zum einen durch einen moderaten Anstieg der Rentenversicherungsbeiträge, getragen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern durch höhere Bundeszuschüsse. Alle müssen sich an den Kosten der Alterung der Gesellschaft beteiligen. Altersarmut droht nicht zwangsläufig, sondern nur dann, wenn die Arbeitgeberseite und der Staat sich ihrer Verantwortung entziehen.

Durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) ermöglichte der Gesetzgeber 2018 das Sozialpartnermodell, das keine fixen Garantien mehr enthält. Die zugesagte Rente wird softer. Den Gewerkschaften werden oft Bauchschmerzen beim Wegfall der Garantien unterstellt. Wie sehen Sie persönlich den Wegfall harter Garantien?
Garantien sind nicht der einzige Weg um Sicherheit zu erreichen. Vielmehr kann Sicherheit auch durch neue, die Volatilität des Versorgungsvermögens abmildernde und durch Sicherungsbeiträge der Arbeitgeber finanzierte Puffer-Mechanismen erreicht werden. Die ausschließlich tarifexklusive Vereinbarung von Sozialpartnermodellen (SPM) in Tarifverträgen und die damit verbundene „Durchführung und Steuerung“ der Kapitalanlage durch die Sozialpartner begrenzt ebenfalls die damit einhergehenden Risiken. Das Vertrauen der Beschäftigten in diese Zusageart und das Verhandeln von fairen Rahmenbedingungen auf Augenhöhe ist nur dann möglich, wenn Anbieterinnen und Anbieter (Versicherungen und Versorgungseinrichtungen) sowie Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber einer starken Interessenvertretung der Arbeitnehmenden gegenüberstehen. Dieses Gegengewicht bringen nur Gewerkschaften im Rahmen von Tarifverhandlungen auf. Zudem stärkt die Tarifexklusivität die Tarifbindung, da hierdurch Anreize für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber geschaffen werden, Tarifverträge abzuschließen.

Besagtes Betriebsrentenstärkungsgesetz trat vor 3 Jahren in Kraft, aber bisher gibt es noch kein branchenweites Sozialpartnermodell. Sie arbeiten an einem. Wann rechnen Sie damit?
Noch in diesem Jahr.

Gehören Ihrer Meinung nach Nachhaltigkeits- und ESG-Gesichtspunkte in die Kapitalanlage der bAV?
Auf jeden Fall!

Vielen Dank für das Interview!

In Kooperation mit dem Sozialverband Deutschland SoVD veranstaltet ver.di demnächst seine 16. Frauen-Alterssicherungskonferenz. Sie findet am 6. Juli 2021 in digitaler Form statt. Dr. Judith Kerschbaumer berichtet dort zum Thema „Wie kommen Frauen zu mehr Rente?“
Hier geht’s zur Anmeldung: zu einem LIVESTREAM am
Dienstag, 6. Juli 2021 von 10.00 – 15.30 Uhr

 

Profilbild von Anke Dembowski

Anke Dembowski

Anke Dembowski ist Finanzjournalistin und Autorin verschiedener Investmentfonds- und anderer Finanzbücher. Sie ist außerdem Mit-Gründerin des Netzwerks „Fondsfrauen".

Förderer