8,452 Billionen US-Dollar Umsatz werden Unternehmen weltweit bis zum Jahr 2030 aufgrund von zu wenig verfügbaren Fach- und Arbeitskräften entgehen. 85,2 Millionen Menschen fehlen der Wirtschaft. Besonders betroffen: Deutschland, das mit knapp 630 Milliarden US-Dollar den größten Einnahmenausfall in Europa verbuchen muss. Das entspricht 14,4 % der heutigen Wirtschaftskraft. Insgesamt fehlen bis zum Jahr 2030 4,9 Millionen potenzielle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist das Ergebnis der aktuellen Studie ‚The Talent Crunch‘ der weltweit tätigen Personal- und Organisationsberatung Korn Ferry.

Fachkräftemangel trotz Digitalisierung
Oft wird befürchtet, die Digitalisierung mache menschliche Arbeitskräfte überflüssig, doch das Gegenteil scheint der Fall. „Während sich viele Menschen aufgrund der Digitalisierung Sorgen machen, ob sie künftig noch gebraucht werden, sieht die reale Situation am Arbeitsmarkt anders aus“, sagt Dr. Thomas Haussmann, Senior Client Partner von Korn Ferry. „Die Weltwirtschaft wächst und wächst immer weiter – das schwerwiegendste Hemmnis sind fehlende Fach- und Arbeitskräfte.“

Der größten Einnahmenausfall in Deutschland ist für die Finanz- und Dienstleistungsbranche mit 136,9 Milliarden US-Dollar zu erwarten (fehlende Arbeitskräfte: 1,2 Millionen), gefolgt von der deutschen Schlüsseldisziplin Industrie und Maschinenbau. Dort werden rund 80 Milliarden US-Dollar aufgrund von 628.000 fehlenden Arbeitnehmern bis 2030 nicht realisiert werden können. Dem Technologiesektor fehlen bis 2030 196.000 Menschen, die für einen Einnahmeausfall von 31 Milliarden US-Dollar sorgen werden.

Gerade in unserer Branche müssen die Unternehmen daher Maßnahmen treffen, wie sie junge Menschen für eine Arbeit im Finanzdienstleistungs- und Fondssektor interessieren.

Bedarf besteht faktisch nur bei Fachkräften mit höherem Bildungsabschluss
Thomas Haussmann sagt: „Ein Mangel in Deutschland existiert allerdings nur für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit höherer Bildungsqualifikation. Wer kein Abitur oder mindestens einen qualifizierten Berufsabschluss hat, hat bereits heute am Arbeitsmarkt schlechtere Chancen. Und das wird sich auch in den nächsten zwölf Jahren nicht ändern.“ So fehlen der deutschen Wirtschaft bis 2030 2,5 Millionen Arbeitskräfte mit höherem Bildungsabschluss wie einem Universitäts- oder Fachhochschulstudium und 2,4 Millionen Arbeitskräfte mit einem höheren Schulabschluss wie Abitur oder Fachabitur. Dagegen steht ein Überschuss von Arbeitskräften mit niedrigerem Bildungsabschluss von 1,5 Millionen Menschen im Jahr 2020 und 1,1 Millionen Menschen im Jahr 2030.

„Das Thema Bildung bekommt angesichts dieser Zahlen erneut große Brisanz. Deutschland muss schleunigst die Voraussetzungen schaffen, noch mehr Menschen zu höherer Bildung zu verhelfen. Doch selbst wenn das geschieht: An einer geordneten Einwanderung von Fach- und Führungskräften wird kein Weg vorbei führen, wenn man diese Zahlen betrachtet“, sagt Haussmann.

Besonders entwickelte Märkte sind betroffen
Deutschland ist nicht das einzige Land, in dem besonders viele Arbeitskräfte fehlen. Vor allem die entwickelten Märkte werden in den nächsten zwölf Jahren immer größere Arbeitskraftdefizite zu spüren bekommen. In Europa folgen auf Deutschland die Volkswirtschaften des Großbritannien (3 Millionen Arbeitskräfte zu wenig), Frankreich (1,5 Millionen) und die Niederlande (550.000).

Weltweit gehören zu den Volkswirtschaften mit den höchsten erwartbaren Verlusten zudem Australien, Japan und die USA. In der Finanz- und Dienstleistungsbranche werden global bis 2030 10,7 Millionen mehr Menschen benötigt. Dies führt zu einem Einnahmenausfall von 1,131 Billionen US-Dollar. In der Industrie fehlen im gleichen Zeitraum global 7,9 Millionen Menschen, in der Technologiebranche 4,3 Millionen.

Unternehmen können nicht auf die Politik warten
„Wer diese Zahlen liest, dem wird klar: Unternehmen und können und sollten nicht auf die Politik warten“, sagt Thomas Haussmann. „Der ‚War of Talents‘ ist keine Medienfiktion. Die Weltwirtschaftskrise hatte zunächst der Nachfrage nach Arbeitskräften einen Dämpfer erteilt, die starke Konjunktur der vergangenen Jahre hat diese Nachfrageschwäche jedoch deutlich schneller als damals erwartet korrigiert. Wir empfehlen Unternehmen, noch stärker in die Eigenqualifikation ihrer bereits vorhandenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu investieren sowie Einsteigern rasche Fortbildungsangebote zu machen, wenn diese die notwendigen Qualifikationen bisher nicht erwerben konnten. Es wird künftig stärker auf Potenzial und weniger auf schon vorhandene Kompetenzen ankommen. Gleichzeitig sollten Unternehmen prüfen, in welchem Maße Fachkräfte aus dem Ausland angeworben und gebunden werden können. Und das nicht nur, um den Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften zu decken, sondern auch, um Diversität zu fördern und die Anschlussfähigkeit an die globalisierte Wirtschaft zu sichern.“

Von nominalen Gehaltserhöhungen bleibt nur wenig
Neben Dingen wie Flexibilisierung der Arbeit sind auch die Verdienstaussichten ein wichtiger Faktor für die Berufswahl junger Menschen. „Die Inflation im Westen ist spürbar zurück“, sagt Thomas Gruhle, Vergütungsexperte der Korn Ferry Hay Group. „Die Unternehmen haben die Gehälter nominal nicht weniger stark angehoben als in den Vorjahren. Die Geldentwertung hat schon 2017 und wird auch 2018 einen Großteil dieser Zugewinne auffressen.“ Und so liegen die nominalen Gehaltserhöhungen in Westeuropa bei 2,3 %, in Australien bei 2,5 % und in Nordamerika sogar bei 2,8 %. Im Nahen Osten wird eine Inflation von durchschnittlich 2,9 % erwartet. Von der nominalen Erhöhung der Löhne um 3,8 % bleiben darum nur 0,9 % übrig. Thomas Gruhle sagt: „Die exorbitanten Preissteigerungen bei Immobilien, Aktien und Rohstoffen sind in der Errechnung der Inflation nur marginal berücksichtigt. Für junge Menschen im Westen wird es mit diesen Steigerungsraten darum immer schwerer, langfristig Vermögen zu bilden.“

Die vollständige Studie ‚The Talent Crunch‘ finden Sie hier.

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Anke Dembowski

Anke Dembowski is a financial journalist and author of various investment fund-related and other financial books. She is also a co-founder of the "Fondsfrauen" network.

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