Am Verdienstabstand zwischen Frauen und Männern ändert sich nur wenig. Eine internationale Studie hat nun einen Grund dafür gefunden: In den Köpfen der Menschen existiert eine verdrehte Vorstellung von Lohngerechtigkeit.

Dass für Männer und Frauen im Allgemeinen unterschiedliche Maßstäbe gelten, ist nichts Neues. Daher dürfte es eigentlich nicht verwunderlich sein, dass diese Auffassung auch bei der Frage nach der Lohngerechtigkeit anzutreffen ist. 2009 führten die Soziologen Katrin Ausprung (Universität München), Thomas Hinz (Universität Konstanz) und Carsten Sauer (Radbound University) ein Experiment durch, dessen Ergebnisse jetzt im American Sociological Review veröffentlicht wurden. An der Untersuchung nahmen mehr als 1.600 in Deutschland lebende Probanden teil. Sie sollten die Bruttogehälter fiktiver Arbeitnehmer auf einer elfstufigen Fairness-Skala beurteilen. Neben Gehaltsangaben standen ihnen Daten zu Geschlecht, Alter, Beruf und Ausbildung zur Verfügung. Darüber hinaus erhielt ein Teil der Befragten noch Informationen über die Berufserfahrung, die Betriebszugehörigkeit, den Gesundheitszustand, die Anzahl der Kinder sowie die Arbeitsleistung.

Männer gelten als unterbezahlt und Frauen als überbezahlt
Das Geschlecht spielt unabhängig von den übrigen Merkmalen eine signifikante Rolle: Einen Lohn, den die Probanden für eine Arbeitnehmerin als faire Bezahlung empfinden, erscheint denselben unangemessen niedrig, wenn der Empfänger ein Mann ist. Das gilt sowohl für männliche als auch für weibliche Studienteilnehmer. Daraus folgern die Wissenschaftler, dass geschlechtsübergreifende Vorurteile ein wichtiger Grund für die bestehende Lohnlücke zwischen Frauen und Männern sind. So werden Männer tendenziell als unterbezahlt und Frauen als überbezahlt eingeschätzt.

Geschlecht als eigenständiger Statuswert?
Weder das Geschlecht der Studienteilnehmer noch der Frauenanteil im Beruf der Befragten hat Einfluss auf die Bewertungen. Das spricht aus Forschersicht gegen die verbreitete Annahme, dass Frauen ihre vergleichsweise niedrigen Löhne vor allem deshalb akzeptieren, weil sie sich in erster Linie mit Geschlechtsgenossinnen vergleichen. Scheinbar ist die Überzeugung verbreitet, dass das Geschlecht einen eigenständigen Statuswert besitzt, unabhängig von anderen Merkmalen. Mit diesem werden die Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen gerechtfertigt. Die Soziologen schlussfolgern, dass Vergütungserwartungen sowie Gerechtigkeitsurteile stark vom sozialen Kontext geprägt sind. So werden bestehende Ungleichheiten verinnerlicht und als fair wahrgenommen. Tatsächlich zeigen die Berechnungen, dass die Probanden, die in Berufen mit einer großen Lohnlücke arbeiten, dieses Missverhältnis in ihren Bewertungen reproduzierten.


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Linda Standhardt arbeitet in der Online-Redaktion beim Deutschen Institut für Altersvorsorge (DIA). Neben dem Schreiben von redaktionellen Beiträgen betreut sie dort auch die Social Media-Kanäle. www.dia-vorsorge.de.

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