Dr. Antonia Rados ist eine der populärsten Auslandskorrespondentinnen im deutschsprachigen Fernsehen. Die gebürtige Klagenfurterin studierte in Salzburg, Paris und Bologna und promovierte in Politikwissenschaft. 1978 arbeitete sie zunächst für den Österreichischen Rundfunk (ORF) als Auslandskorrespondentin in Chile, Südafrika, Somalia und im Iran. Nach weiteren Berufsjahren bei der ARD wechselt sie 1993 zu RTL, wird 1995 Leiterin des RTL-Büros in Paris und bald Auslands-Chefkorrespondentin des Senders. Für ihre Reportagen über verschiedene Kriegs- und Krisenregionen wird sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Fernsehpreis und dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis für Fernsehjournalismus. Eines ihrer viel beachteten Interviews war im März 2011 mit Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi. Fondsfrau Anke Dembowski spricht mit ihr am 11. März auf der Investment Konferenz 2016 von Pioneer Investments in München.

Frau Dr. Rados, man kennt Sie vom Fernsehen, wenn Sie aus dem Nahen Osten berichten. Wie kann man sich Ihren Zeitablauf vorstellen? Wie schweben Sie zwischen Ihren Einsätzen in den Krisenregionen und Europa hin und her?
Ich lebe zum Teil in Paris, in Wien und in Kairo. Ich mag es nicht, nur einen Wohnsitz zu haben, sondern lieber mehrere.

Man sieht Sie so häufig im Fernsehen, und Sie müssen ja auch recherchieren sowie vor- und nacharbeiten. Sind Sie ein Workaholic?
Ja, ich bin ein Workaholic, weil ich meine Arbeit gerne ausübe, da sie interessant ist. Ich bin aber auch workaholic, weil ich sozusagen dazu gezwungen wurde, einer zu sein. Wenn eine Frau beruflich erfolgreich sein will, dann muss sie mehr arbeiten als ein Mann.

Was ist Ihr Trick, dass Sie als westliche Frau Interviewtermine mit islamischen Führern bekommen?
Das ist komplizierter, als man es sich allgemein vorstellt. Es gibt dort natürlich eine Männerdominanz, aber es gibt überall auch die Möglichkeit, zu kommunizieren. Ich halte Kommunikation für sehr wichtig.

Sprechen Sie arabisch?
Ja, ich spreche so arabisch, dass ich mich durchschlagen und auch im Alltag Interviews führen kann. Allerdings nicht so gut, dass ich ohne Dolmetscher arabische Führer interviewen könnte.

Sie bewegen sich oft in Krisenregionen – haben Sie da ein bestimmtes Konzept?
Ich glaube das Wichtigste ist, dass man kommuniziert – egal wie. Ob das die Kleidung ist, wie man sich gibt, oder wie man die Kultur kennt… Jeder, der in eine andere Welt, eine andere Kultur fährt und dort arbeiten möchte, muss sich darüber im Klaren sein, dass er dort als Außenstehender hin kommt. Man muss dann ein gewisses Radar haben, um sich dort zurechtzufinden.

Hatten Sie schon mal richtige Probleme in der arabischen Welt?
Eigentlich nicht. Ich habe keine Probleme in der arabischen Welt, weil ich mich immer informiere, was dort gerade los ist, worüber die Leute reden, welche Witze sie machen, was ihnen gerade am Herzen liegt. So kommen Sie weiter. Neben der sehr wichtigen rationalen Ebene muss es immer auch eine Interessenslage von uns geben. Wir müssen uns immer für die Welt interessieren. Wenn Sie sich für die Welt – sei es für die arabische oder die amerikanische – nicht interessieren, dann werden Sie dort auch keinen Erfolg haben.

Hat Ihnen auch schon mal jemand ein Interview abgeschmettert, weil Sie eine Frau sind?
Aber ja! Es kam oft vor, dass mir jemand zum Beispiel nicht die Hand gab. Aber da bin ich selbstbewusst und frage dann, warum. Im Iran zum Beispiel – einem Markt, der sich jetzt öffnet und der sehr wichtig ist – müssen Sie als Frau ein Kopftuch tragen, egal woher Sie kommen, und ob Sie Christin oder Muslimin sind. Als Frau müssen Sie schon im Flugzeug ein Kopftuch aufsetzen, denn wenn Sie aussteigen, müssen Sie es schon anhaben, und auch dezent gekleidet sein. Das sind dort eben die Regeln. Männer geben Ihnen dort auch nicht die Hand. Das sind religiöse Gesellschaften – für uns sehr ungewohnt, weil wir eine sehr rationale, laizistische Gesellschaft sind.

Wie gehen Sie damit um? Und wie sehen das die Frauen dort?
Ich kann das nicht ändern. Was ich aber versuche, ist herauszufinden, wie die Frauen dort damit umgehen. Wie sehen sie das? Was halten sie davon? Ich sehe da extrem widersprüchliche Meinungen. Einige sagen: „So ist das eben bei uns, ich fühle mich damit wohl. Ich würde ohne Schleier nicht hinausgehen.“ Andere sagen: „Ich würde das am liebsten sofort ablegen.“ Das macht es ja so interessant. Man fährt ja nicht dorthin, um Vorurteile bestätigt zu bekommen, sondern um die unterschiedlichen Grautöne zu sehen.

Stellt der Schleier für manche Frauen auch einen gewissen Schutz dar?
Das weiß ich nicht. Ich passe mich insofern an, als dass ich lange Ärmel trage, das ist ja selbstverständlich! Aber ich spreche die Dinge auch immer wieder mit aller Höflichkeit an. Beispielsweise hatte ich in Jordanien eine Übersetzerin, die war tief verschleiert. Ich fragte sie, warum. Sie sagte, dass das im Koran steht. Dann entwickelte sich eine Debatte, weil ich sie fragte, wo das im Koran steht. Das ist, glaube ich, eine Mischung aus Unsicherheit der Frau, Druck der Familie, Tradition, Religion und allem möglichen. Man macht es sich zu einfach, wenn man einfach sagt, die Frau ist extrem konservativ.

Gehen Sie mit verschleierten Frauen anders um als mit nicht verschleierten?
Nein. Ich behandle die Leute gleich, egal ob sie im Minirock oder mit Kopftuch kommen. Mich persönlich stört es überhaupt nicht, wenn jemand ein Kopftuch trägt. Ich habe junge Übersetzerinnen in Kairo, die kommen im Minirock, andere tragen Kopftücher. Ich frage beide, wie sie das sehen, warum sie so sind, und so weiter. Man muss sich immer bewusst sein, wer man ist. Ich sage immer, dass ich eine westliche Frau bin und erkläre, wie das bei uns ist. Aber ich halte nichts von aggressivem Feminismus. In unserer globalisierten Welt kann man nicht irgendwohin kommen und sagen: „So wir das sehen, ist das richtig!“

Bei Ihren Recherchen… haben Sie da bei Frauen einen besseren Zugang? Zum Beispiel, um gute Hintergrund-Informationen zu erhalten?
Als Frau habe ich den Vorteil, dass ich in diesen Gebieten – vor allem auch in den Kriegsgebieten – in die Frauengemächer komme. Das kann ein Mann nicht. Dort reden wir dann über den Alltag und ich erhalte gute Hintergrund-Informationen. Was stimmt und was nicht, wer mit wem verwandt ist, und so weiter. Das ist ein Zugang, den ein Mann nicht hat. Da 50 % der Bevölkerung auf der Welt Frauen sind, halte ich es für gut, dass es auch bei den Reportern gemischte Gruppen gibt.

Es gibt wohl keinen, der nicht Ihren Mut bewundert, wenn Sie in den Krisengebieten sind. Empfinden Sie es selbst auch so, dass man dort mutig sein muss, oder ist das vor Ort anders?
Ich glaube Arbeiten in Extremsituationen ist Stress, den man bewältigen muss. Hier muss man Techniken finden, wie man die eigene Angst bewältigt. Ich darf ja meine Angst nicht auf alle übertragen, den Kameramann und die ganze Gruppe. Das muss ich im Griff haben, und meine Erfahrung hilft mir dabei. Ich habe Angst wie alle anderen Menschen auch, aber ich bin nicht überängstlich.

Darf ich Fragen, ob Sie Familie, ob Sie Kinder haben?
Familie habe ich wie jeder Mensch. Kinder habe ich nicht.

Ich interviewe Sie ja von den Fondsfrauen, und da geht es auch ums Investieren. Wie investieren Sie eigentlich? Investieren Sie z.B. schon im Iran? Oder haben Ihre Finanzen gar nichts mit den Regionen, die Sie so gut kennen, zu tun?
Doch, ich fände es großartig, im Iran ein Hotel aufzumachen, und zwar schon lange, bevor der Iran so offen war wie jetzt. Das ist ein wunderbares Land. Die Leute sind zum größten Teil sehr freundlich – überhaupt ist der Orient eine freundliche Region. Wir müssen uns davon freimachen, dass wir uns von Dingen wie den Pariser Anschlägen so stark prägen lassen. Wir dürfen uns wegen kleinen terroristischen Gruppen keine Feindbilder machen.

Wurden Sie denn nie angemacht, angegrapscht oder so?
Ich bitte Sie, das passiert doch hier in Europa auch ständig. Wurden Sie als junge Mitarbeiterin noch nie von Kollegen oder Ihrem Chef angemacht oder irgendwie „aufgefordert“?

Hm, ja! Können Sie uns denn einen Tipp geben, z.B. nach den Sylvester-Ereignissen in Köln? Es hieß dann ja, als Frau sollte man einfach eine Armlänge Abstand halten. Was sind Ihre Tipps in solchen Situationen?
Ich bin seit 30 Jahren in der arabischen Welt unterwegs und habe natürlich viel mit Gewalt zu tun gehabt. Weil ich körperlich einfach schwächer bin und auch keine Waffen besitze, habe ich erlebt, dass Kommunikation sehr wichtig ist. Mein Erfolgsrezept ist, so viel wie möglich zu erklären, zu kommunizieren, seine Position zu erklären – unaggressiv. Gerade für Frauen ist es wichtig, einfach cool zu bleiben und nicht alle zu verurteilen. Wir dürfen nicht gleich glauben, dass jeder arabische Jugendliche ein Vergewaltiger ist. Ich halte nichts davon, hysterisch auf Probleme zu reagieren.

Many Thanks for the interview!

Fotos: Holger Peters

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Anke Dembowski

Anke Dembowski is a financial journalist and author of various investment fund-related and other financial books. She is also a co-founder of the "Fondsfrauen" network.

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