Erst vor kurzem haben an dieser Stelle mit Unternehmensberaterin und Coach Silke Foth über Männer-Rituale gesprochen, die jede von uns kennt. Sie ist auch Psychologin; daher sprechen wir mit ihr über die Krisen-Situation, in der wer uns alle befinden, was sie mit uns macht, und wie wir am besten damit zurecht kommen können.

Silke, was macht eine solche Krisen-Situation, wie die jetzige, mit uns Menschen?
Sie bringt uns in den Zustand von Ungewissheit und Unsicherheit, denn wir können so abstrakte Risiken wie Viren oder Radioaktivität schwer einschätzen. Das erzeugt Angst. In der Angst verstärkt sich das Gefühl, die Dinge nicht einschätzen und beherrschen zu können. In der Angst reagiert der Mensch irrational. Angst kann im schlimmsten Fall zu Panik führen.

Wieso kommt es dann zu irrationalem Verhalten?
Am Anfang haben uns die Politiker gesagt, dass die Situation bei uns nicht so schlimm ist. Dann haben sich die Virologen eingeschaltet, z.B. Professor Drosten. Sie erklärten, dass es sich nicht um eine normale saisonale Grippe handelt, sondern um ein pandemisches Geschehen. Dann ist alles aus den Fugen geraten. Das führte bei vielen zum Empfinden von Kontrollverlust, das auch mit einer gewissen Ohnmacht einhergeht. Dann verhalten wir uns nicht mehr rational sondern irrational. Wenn die Angst schon mal getriggert ist, denkt der Mensch an sich und seinen engsten Familienkreis. Wenn dann unser Kind einen Schnupfen hat, rennen wir gleich zum Arzt, obwohl wir wissen, dass Ärzte jetzt oft überfordert sind. Das erklärt auch die Hamsterkäufe von Klopapier und Nudeln, oder in den USA von Waffen. Das sind normale Reaktionen, wenn die Rationalität verlassen wird; dann triggert nur noch unser Angst-Gehirn. Wenn wir dann Dinge horten, glauben wir, wieder die Kontrolle über die Situation zu erhalten. Wir sehen dann Mitmenschen zunehmend als potentielle Krankheitserreger und nicht als jemanden, den auch wir anstecken können.

Wie reagiert unser Gehirn auf die immer neuen schlimmen Nachrichten?
Erst wurde ja abgewiegelt, dass es nur alte und kranke Menschen trifft. Dann denken wir „Das kann mir ja nicht passieren!“. Das sind Health-Scripts. Wir kennen das von Rauchern. Sie argumentieren, dass Helmut Schmidt auch immer geraucht hat und sehr alt wurde. Auch bei der Corona-Krise war das zu beobachten: Gerade ältere Menschen argumentierten, dass es nicht so schlimm sei und sie ja schon den Krieg überlebt hätten. Aber auch junge Menschen haben ein Health Script entwickelt: „Wir sind unantastbar!“ Die haben noch Corona Partys gefeiert.

Was sollen wir machen, wenn wir bei uns auch ein solches Health Script feststellen?
Dann ist es gut, sein eigenes Health Script zu überdenken. Ohne Reflexion realisiert man ja gar nicht, dass man ein automatisiertes Drehbuch im Kopf hat. Ich habe z.B. das Health Script im Kopf “an apple a day keeps the doctor away”. Wir sollten überlegen, welches Health Scrip wir haben und was davon stärkend und was schwächend ist.

Was ist mit den vielen Corona-Witzen, die jetzt kursieren?
Witze sind immer auch ein Schutz gegen Angst oder Panik. Aber sie können auch gefährlich sein, wenn der Selbst-Bezug fehlt. Dann leben beispielsweise gerade junge Leute gefährlich.

Was können wir tun, um in unserem Kopf so etwas wie Normalität herzustellen?
Gerade jetzt braucht es einen klar strukturierten Ablauf. Wir sollten mit der Familie feste Strukturen festlegen, wie im Job auch. Wer im Homeoffice arbeitet, sollte sich einen vernünftigen Arbeitsplatz einrichten, auch mit der dafür notwendigen Technik. Gute Hinweise dazu gibt der Homeoffice-Guide von t3n. Die beschreiben die Themen ganz hervorragend, z.B. welche Technik und welche Tools man braucht, und geben Tipps für Workflows. Damit lassen sich die Tele-Meeting-Situationen effizient bewältigen.

Was ist sonst noch wichtig fürs Homeoffice?
Zum Beispiel, dass wir uns auch für die Arbeit im Homeoffice ordentlich anziehen. Gerade jetzt brauchen wir einen festen Anker. Dazu ist ein Arbeitsplatz, der räumlich geankert ist, sehr wichtig. Das müssen wir dann auch mit unserem Partner oder den Kindern organisieren. Gerade für Kinder sind feste Regeln wichtig: Zu dieser Uhrzeit dürfen sie Mama oder Papa nicht stören. Diese festen Zeiten, Strukturen und Regeln müssen wir innerhalb der Familie besprechen. Dabei ist es auch wichtig, Strukturen zwischen Freizeit und Arbeit einzuteilen, und natürlich auch für Sport. Der schafft in schwierigen Zeiten einen wichtigen Ausgleich.

Hast Du hier besondere Tipps für Frauen?
Viele Frauen sind – genau wie Männer auch – in den Krisenstäben. Die haben schon immer 150% gearbeitet, und jetzt sind es auf einmal 1000%. Das ist ein massiver Overload! Hier ist es wichtig, auch mal zu sagen Stopp, Halt, und einfach zwei Stunden spazieren zu gehen. Wir dürfen die Arbeits-Themen, die ja teilweise auch belastend sind, nicht mit dem Kaffee in unsere Küche nehmen. Die Care-Tätigkeiten werden in der Regel von den Frauen gewuppt: Kinder betreuen, Homeschooling, die Eltern pflegen. Das wird auch jetzt an den Frauen hängen, und nun eben auf engstem Raum, nämlich inklusive Homeoffice und Homeschooling. Das führt schnell zu massiven Spannungen in den Beziehungs-Gefügen. Es ist ja oft so: Der Mann bastelt und erledigt Reparatur-Arbeiten, geht dazu in den Keller, die Garage oder den Garten. Das ist schön, aber man muss die jeweiligen Rollen und die Tätigkeiten gemeinsam besprechen.

Was können wir mit unserem Freundes- und Bekanntenkreis machen?
Hier ist es gut, sich auszutauschen, zu kommunizieren! Wir können z.B. Tipps und Tricks austauschen, wie wir dieses oder jenes gut gelöst haben. Wir haben alle keine Erfahrung mit einer solchen Situation. Die letzte Pandemie war 1918. Die Isolation ist für die Meisten das Schlimmste. Aber dadurch kann auch etwas Neues entstehen, z.B. eine gute Idee. Eins ist ja klar: Das Corona-Thema beschäftigt uns alle. Daher ist es auch ein guter Rapport, als Einstieg ins Gespräch. Wir merken dann sehr schnell, ob es sich um echtes Interesse oder nur eine Floskel handelt. Ein solcher Einstieg schafft Beziehung und Vertrauen. Wenn man dann feststellt, dass wir alle in relativer Sicherheit sind, können wir auch zu anderen Themen übergehen, die ja nach wie vor anliegen.

Eigentlich haben sich ja viele Homeoffice-Möglichkeiten bei ihrem Arbeitgeber gewünscht. Warum nehmen wir das Thema Homeoffice jetzt nicht mehr nur positiv wahr?
Da scheiden sich die Geister. Ich kenne viele, die juchu geschrien haben und sagen „hoffentlich behalten wir das bei!“ Viele erkennen jetzt, hey, es geht eigentlich ganz gut! Wieviel Zeit verschwende ich sonst mit Reisen und persönlichen Meetings? Natürlich haben viele von uns vorher noch nie gezoomt und müssen erst mit der Technik vertraut werden. Das ist anfangs ein Zeitfresser, denn man muss es einüben. Zumindest können wir aus dieser Krise mitnehmen, dass wir ein wenig weg kommen von der Präsenz-Kultur in den Unternehmen.

Kannst Du uns etwas zum Thema Lagerkoller sagen?
Ja, das ist belastend: Plötzlich steht das öffentliche Leben still und unsere gewohnten Alltags-Beschäftigungen können nicht mehr stattfinden. Die mehr oder minder freiwillige Isolation kann sehr belastend sein und tatsächlich zum Lagerkoller führen. Das wissen wir aus China. Dort waren die Menschen drei Monate lang eingesperrt. Bei vielen hat das zu Angst-Störungen, Depression und teilweise auch zum Suizid geführt. Aber dort wurden sogar Leute eingemauert, wie früher bei der Pest. Das hat zu einer Zunahme der häuslichen Gewalt geführt. In China erfährt in normalen Zeiten jede dritte Frau körperliche Gewalt, und diese Zahl hat sich nun verdreifacht. Das sind ernst zu nehmende Risiken. In Deutschland baut hier die Deutsche Gesellschaft für Psychologie ein Netz auf. Man weiss, dass das ein Problem ist bzw. wird, je länger die Krise anhält.

Welche Denkmuster helfen?
Es hilft, wenn wir uns klar machen, dass wir die Isolation nicht nur für uns selbst machen, sondern auch für andere Menschen. Das gibt uns ein gemeinsames, größeres Ziel. Wichtig ist, dass wir Strukturen im Alltag schaffen, darüber auch sprechen, rausgehen und dass wir sensibel mit unseren Mitbewohnern umgehen. Jetzt ist es hilfreich, auch gemeinsame Projekte anzupacken, z.B. ein gemeinsamer Frühjahrs-Putz im Haus. Dann sieht man: Wir haben als Familie oder als WG zusammen etwas geschafft, auf das nachher alle stolz sind.

Die Einschnitte werfen ja auch Verteilungs-Fragen auf. Was meinst Du dazu?
Die Einschnitte können zu einer großen Schere, zu einem großen Konflikt führen. Es gibt nämlich auch ein ökonomisches Skript. Viele überlegen, ob der ökonomische Schaden nicht schlimmer ist als die paar Menschen, die durch Corona sterben müssen. Hier ist es wichtig, Gemeinsamkeiten herzustellen und keine Spaltung. Sonst haben wir bald Gewalt. Wir können in den USA schon beobachten, dass sich die Menschen mit Waffen eindecken und Asiaten Angst haben, dass auf sie geschossen wird. Soziale Normen, die bisher gegolten haben, gelten in einer Krise teilweise nicht mehr. Da ist die Politik gefordert, dass es nicht zu Konflikten und zu Gewalt kommt.

Jede Krise hat ja auch etwas Positives. Welcher positive Effekt lässt sich der Corona-Krise abgewinnen?
Es ist auch eine Chance, dass Routinen und der Normal-Betrieb unterbrochen worden sind, denn nichts ist mehr wie es vorher war. Das steigert die Kreativität, wie man jetzt schon beobachten kann. Deutsche haben eher eine technokratische Kultur. Aber die Divergenten sind die besseren Krisenmanager, sie entwickeln jetzt kreative Ideen. Beispielsweise hatten einige Unternehmen die Idee, mit ihren 3-D-Druckern Material für Krankenhäuser zu drucken. Jetzt wird sichtbar, dass man Diversität braucht. Sie unterstützt uns dabei, kreative Lösungen zu finden. Eine weitere Chance der Corona-Krise ist, dass Ruhe in die Systeme kam und wir uns auf die eigentlichen Dinge fokussieren können. Im hektischen Normalbetrieb verdrängen wir Themen wie Krankheit und Tod gerne. Jetzt müssen wir uns mit unserer eigenen Endlichkeit befassen. Außerdem führt die Krise dazu, dass viele Berufe, die bisher unsichtbar waren, wie z.B. Pflegedienste oder auch unbezahlte Care-Tätigkeiten, einen anderen Stellenwert erhalten. Denen wird auf einmal auf den Balkonen applaudiert. Das ist eine Riesen-Chance, da künftig anders draufzugucken. Jetzt reflektieren wir, dass unsere Gesellschaft aus einem Netz besteht, nicht nur aus Individuen. Plötzlich sehen und lernen wir das. Das ist besonders für Frauen wichtig, die ja einen Großteil der Care-Tätigkeit erledigen. Eine Oxfam-Studie zeigt, dass Frauen weltweit in diesem Bereich jeden Tag 12 Milliarden unbezahlte Arbeitsstunden leisten. Wenn sie dafür den Mindestlohn bekämen, wären das 11 Billionen US-Dollar jeden Tag.

Vielen Dank für das Gespräch und die interessanten Tipps!

P.S.: Wir verlosen 3 Exemplare des Buchs „Erfolgsrituale für Business-Hexen“ von Silke Foth. Schickt uns ein Beispiel für ein prägnantes oder lustiges männliches Ritual an info@fondsfrauen.com, das Euch aufgefallen ist. Die Drei, die uns die besten Ideen schicken, werden von uns benachrichtigt und erhalten ein Buch zugeschickt.

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Silke Foth
studierte Psychologie, Soziologie und Pädagogik an der Ludwig Maximilian Universität München. Sie ist

– systemische Beraterin & Coach
– Ausbilderin für systemisches Coaching & Mentoring
– Expertin für Diversity-Management
– Autorin des Buchs „Erfolgsrituale für Business-Hexen“

Kontakt: www.silke-foth.de

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Anke Dembowski

Anke Dembowski is a financial journalist and author of various investment fund-related and other financial books. She is also a co-founder of the "Fondsfrauen" network.

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